Das vorliegende Buch ist eine Teamarbeit des Ehepaars Christian Nürnberger und seiner Frau Petra Gerster. Die beiden Journalisten haben gemeinsam schon mehrere Bücher verfasst. Allesamt wurden zu Bestsellern.
Die ein wenig verspielt und oftmals humorvoll daher kommenden Illustrationen dieser Luther-Biographie stammen von Irmela Schautz. Sie hat Malerei und Grafik an der Kunstakademie Münster und Bühnen- und Kostümbild an der Akademie für Bildende Künste in Stuttgart studiert. Heute lehrt sie an der Akademie für Illustration und Design in Berlin.
Weshalb dieses Buch in einem Jugendbuchverlag erschienen ist, vermag ich nicht zu deuten. Vielleicht der Bilder wegen, die man so gestaltet, eher aus Jugendbüchern kennt?
Der Text selbst ist vielschichtig, kritisch und intellektuell alles andere als oberflächlich angelegt, insofern also bestimmt für junge und nicht mehr ganz so junge offene Geister, die Freude an einer unverkrampften Sprache haben.
Anlässlich des 500 jährigen Reformationsjubiläums in 2017 haben bereits einige Autoren Biographien zu Luther verfasst. Für das vorliegende Buch spricht die leichtfüßige Sprache, gepaart mit der spielerischen Aufbereitung von historischen Fakten und intellektuellen Überlegungen, sowie das gekonnte Herstellen von Zusammenhängen, ohne die geschichtliche Begebenheiten bekanntermaßen unverständlich bleiben und sofort wieder vergessen werden.
Spannend erzählt wird die Lebensgeschichte Martin Luthers, der – unüblich in seiner Zeit- nur Gott und dessen Wort als einzige Autorität anerkannte. Dass er eine entlaufene Nonne schwängerte, sie heiratete und sich selbst seiner Mönchskutte entledigte, vervollständigte den Skandal um diesen trotz allem aber sehr frommen Mann. Obschon Luther, laut Nürnberger, kein neuzeitlich aufgeklärter Humanist war, wurde er zum Reformator und zum Gründer einer neuen Kirche und zudem zum Bibelübersetzer, Schöpfer der deutschen Sprache, Schriftsteller, Bestseller-Autor und Ahnherr der Institution des evangelischen Pfarrhauses.
Aufgezeigt werden die einzelnen, wichtigen Ereignisse auf dem Lebensweg des Reformators, seine frühen Entscheidungen, die er später in Frage stellt und seinen Konflikt mit seinem Vater, der aus seinem Sohn einen Juristen und keinen Theologen machen wollte.Verdeutlicht aber auch wird Luthers Desinteresse im Hinblick auf die Kunst und andere Errungenschaften der Renaissance und klar wird recht bald, dass Martin Luthers Fokus sich gezielt auf die Gestaltung eines neues Gottesbild richtet.
Er tat dies, indem er an den alten Autoritäten zweifelte und zu prüfen begann, ob deren Lehren tatsächlich stimmten. Dabei ging es, wie man erfährt, nicht um Rebellion, sondern um Wissbegierde. Über Luthers Gottesbild, auch über den Ablasshandel und über die 95 Thesen, die er einst verfasst hatte, liest man Aufschlussreiches und erfährt zudem, dass die berühmte "Türgeschichte" wie so manch andere Story um Luther der Legendenbildung angehört.
Fakt ist, dass Luther im Laufe von nur vier Jahren eine Vielzahl von Schriften angefertigt hat, die zur Entstehung der evangelischen und reformierten Kirche führten.
Nicht unerwähnt bleibt die neue Drucktechnik Gutenbergs, die es erst möglich machte, dass eine unabhängige öffentliche Meinung entstand, die sich gegen Rom richtete.
Auch kirchenpolitische und politische Überlegungen bleiben nicht ausgegrenzt. Luthers Lehre war ab 1520 in den Köpfen vieler und die Zeit für das Neue nicht mehr umkehrbar. Worin dieses Neue bestand, erfährt man im Buch detailliert.
Dass Wortschöpfungen wie "Gewissensbisse", "Selbstverleugnung", "Wortgezänk" oder Metaphern wie "Perlen vor die Säue werfen" auf Luther zurück gehen, wird nicht jedem bekannt sein und vielleicht auch nicht, dass Luther gerne im Team arbeitete, was in seiner Zeit ungewöhnlich war.
Über seinen Text "Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man Gehorsam schuldig sei" liest man, dass Luther dort die später sogenannte "Zwei -Reiche-Lehre" entfaltete, wonach Glaubensfragen eine Angelegenheit Gottes sei und keine Macht der Welt Christen in Glaubensfragen Vorschriften machen dürfe. Kaiser, Könige und Fürsten müssten also außen vor bleiben.
Nürnberger lässt die Folgen der "Zwei-Reiche-Lehre" nicht unerwähnt, die sich darin zeigten, dass sich daraus der deutsche Obrigkeitsstaat und obrigkeitshörige Untertanen entwickelten.
Welchen Einfluss seine Frau Käthe auf Luther und Luthers Schaffen hatten, ist auch ein Thema. Dieses Kapitel hat Petra Gerster verfasst, die u.a. lange Jahre hindurch die Informationssendung für Frauen mit dem Titel "Mona Lisa" moderierte und hierfür den Hanns-Joachim-Friedrich-Preis erhielt, insofern mit kompetentem Blick diese Mann-Frau-Beziehung beleuchtet.
Katharina von Bora erinnert in ihrer Tüchtigkeit an die Lebensgefährtin Christiane Vulpius, auch wenn die geistige Ausrichtung unterschiedlich gewesen sein mag, so mein spontaner Eindruck.
Christian Nürnberger geht, das bleibt zu sagen, kritisch mit Martin Luther um und vergisst nicht zu erwähnen, dass dieser in seinen späteren Lebensjahren sehr hasserfüllt nicht nur den Papst, sondern auch die Osmanen und die Juden beschimpft habe. Mit den zuletzt genannten Beschimpfungen habe Luther leider zum Antisemitismus in Europa beigetragen.
Wer dieser Martin Luther war und in welcher Beziehung er zu Malern und Musikern und zeitgenössischen Wissenschaftlern stand, ist ebenso interessant zu erfahren, wie die Bedeutung dieses Mannes im Hier und Jetzt und auch, welche Konsequenzen sich aus den unschönen Erfahrungen aus dem Gestern ergeben.
Papst Franziskus erinnert meines Erachtens in seinem Reformwillen sehr an Luther, nur dass er toleranter auf Muslime und Juden zugeht. Ob das Oberhaupt der katholischen Kirche bereit ist, das höchste Amt der katholischen Kirche abzuschaffen, um die gespaltene Kirche wieder zu einen, wird man sehen. Undenkbar ist dies ebenso wenig, wie die Tatsache, dass die Protestanten einen Papst in einer reformierten, katholischen Kirche als Führungskraft Nr. 1 akzeptieren.
Alles ist möglich. Das wissen wir seit 1989.
Sehr empfehlenswert
Helga König
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