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Gekommen um zu bleiben- Kerstin Rubel- Callwey

 

Dieser bemerkenswerte Bildband mit Fotos von Ulrike Schacht und informativen Texten von Kerstin Rubel stellt 20 Unternehmerinnen und ihren Traum vom Leben auf dem Lande vor. 

Zunächst lernt man die gelernte Mode-Designerin Theres Glitz-Ehringhausen kennen, die mit ihrem Bruder in Westfalen eine Kornbrennerei übernahm. Dieser bäuerliche Familienbetrieb reicht bis ins Jahr 1237 zurück. Man erfährt, was die beiden unternommen haben, um zwischenzeitlich bis zu 20.000 Liter pro Jahr Kornbrand zu produzieren und mit feinen Edelprodukten aufzuwarten. Ihr Hauptgeschäft tätigen die beiden online, allerdings gibt er auch noch einen kleinen Hofladen, der an vier Tagen geöffnet hat und der wie das Unternehmen selbst, auf Fotos zu sehen ist. 

Spannend zu lesen sind die Infos zum Landleben der Architektin Kerstin Schulz, die gemeinsam mit ihrem Ehemann und Geschäftspartner ihr Wohn- und Bürohaus im Odenwald lokalisiert haben. Man liest, wie sie dort leben und arbeiten und in den Ort integriert sind, landaffine Interessen entwickelt haben und sich in Ortsvereinen engagieren. 

Vorgesellt wird u.a. auch eine Kräuterteegärtnerin Jessica Schönfeld in der Pfalz, die gemeinsam mit ihrem Mann Tee anbaut. Sie berichtet darüber, wie man eine Marktnische findet, eine Marke anbaut und erzählt auch Wissenswertes über ihr Vertriebssystem und so liest man sich durch unterschiedliche bemerkenswerte Viten von Unternehmerinnen, die auf dem Land ihr Paradies haben wahr werden lassen. 

Gefallen auch hat mir das Pilotprojekt von 25 Großstädtern, die testweise ins brandenburgische Wittenberge zogen. Unter ihnen Kata Oldziejewska, über die man Interessantes erfährt und die ihre Erfahrungswerte im Buch weitervermittelt. 

Die politische Journalistin Christiane Kohl, die vormals für den Spiegel und die Süddeutsche schrieb, ist heute Hoteldirektorin. Sie baute das Hotel gemeinsam mit ihrer Schwester auf und engagiert sich u.a. für den "Literarischen Frühling in der Heimat der Brüder Grimm". 

Man staunt über all die Aktivitäten der vorgestellten Damen und hat Gelegenheit mit Stephanie Lange- sie ist Coach für Existenzgründerinnen-, mehr über das WISSEN WIE zu erfahren. In einem weiteren Interview mit Christian Vieth- er ist Geschäftsführer der Stiftung Agrarkultur- erfährt man dann noch Wissenswertes über alte Höfe, die er an Existenzgründer vermittelt. 

Alles in allem ein inspirierendes Buch, das zeigt, dass Neuanfänge - weg von der Stadt- glücklich und zufrieden machen können. 

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Power- Inspirierende Frauen-Heide Christiansen- Ute Laatz- Callwey


Die Wohnexpertin Ute Laatz hat gemeinsam mit der Fotografin Heide Christiansen dieses reich bebilderte Buch kreiert, in welchem sie 21 Protagonistinnen vorstellen. Es handelt sich dabei um erfolgreiche, kreative Frauen, die intime Einblicke in ihren Alltag und ihr privates Umfeld gewährt haben und von ihrem beruflichen Werdegang berichten. 

Im Rahmen ihrer Homestories lernt man ihre Wirkstätten kennen. Dabei geht es darum, zu zeigen, dass sich das Wesen der einzelnen Personen in ihrer Art zu wohnen niederschlägt. Visualisiert werden textbegleitend tolle Fotos von der stets geschmackvollen Inneneinrichtung der Wirkstätten. 

Dabei zeigen sich die stilsicher gekleideten Protagonistinnen an den Orten des Geschehens. Stets gibt es Tipps und lebensphilosophische Betrachtungen der einzelnen Damen,  mitunter auch Adressen für Einrichtungsempfehlungen und nicht selten bleibt man an Sätzen hängen, die man sofort bejaht, weil man ihren Inhalt auf eigene Erfahrungen beziehen kann:

"Wenn die kreativen Ideen einmal ausbleiben, sollte man sich theoretische Aufgaben oder stattdessen erst einmal einer anderen Arbeit widmen. Meist kommt der Geistesblitz dann von ganz allein."

Hervorgeben möchte ich das Porträt der Farbdesignerin Anna von Mangold, die aufgrund ihrer Experimentierfreudigkeit mit Pinseln und Pigmenten, eine bemerkenswerte Geschäftsidee entwickelte und zwischenzeitlich einem florierenden Unternehmen vorsteht. Eine Frau, mit viel Power und Kreativität!

Junge und nicht mehr ganz so junge Powerfrauen zeigen wie Power Früchte trägt und verdeutlichen, dass die Räume, wo man wohnt und arbeitet, viel über sie selbst aussagen. 

Wie definiert man sich? Wie will man gesehen werden? Wie sieht man sich selbst? Was zeigen diese Selbstbespiegelungen?  Und was bedeutet Power für die einzelnen Damen? 

Jede definiert es ein bisschen anders. Besonders gut gefallen hat mir die Definition der Textildesignerin Stephanie Kahnau. Für sie ist Power ein Synonym für "machen", Träume wahr werden zu lassen und alles dafür zu geben. 

Ein lesenswertes Buch mit spannend zu lesenden biographische Miniaturen und viel Inspiration für Raum- und Lebensgestaltung. 

 Maximal empfehlenswert 

Helga König 

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Rezension: Große Philosophinnen- Wie ihr denken die Welt prägte-10 Portraits- Armin Strohmeyer-Piper


Wie Dr. Armin Strohmeyer in seiner Vorbemerkung bereits betont, möchte das vorliegende Buch keine Geschichte der Philosophie sein, sondern eine Portraitsammlung philosophierender Frauen. Dabei definiert der Autor im Anschluss dann gleich, was er unter Philosophie versteht: Die Liebe zur Weisheit, zum Denken, wobei am Beginn des Denkens das Staunen stehe. 

Damit steht Strohmeyer in der Tradition von Aristoteles und Platon. Philosophisches Staunen habe zur Folge, dass Dinge hinterfragt werden. Hierdurch entstehe Wissen im Streben um Erhellung, die Aufklärung der Zusammenhänge und damit auch die Wissenschaft. Die Erhellung der bloßen Meinungen, der Vorurteile und Klischees, habe einem Zeitalter den Namen gegeben: Die Aufklärung.

Frauen tauchten in der Philosophie- bis auf wenige Ausnahmen- erst sehr spät auf. Erst seit der Scholastik des Hochmittelalters habe sich dies geändert. Das Philosophieren der Frauen sei ein Akt der Selbstbefreiung, der Emanzipation gewesen wie die Beispiele im Buch deutlich machen. 

Brillant porträtiert werden von Dr. Strohmeyer nachstehende Persönlichkeiten: Héloise (1099-1164), Hildegard von Bingen (1098-1179), Christine de Pizan (um 1364-1430), Émilie de Châtelet (1706-1749), Ricarda Huch (1864-1947), Edith Stein (1891-1942), Simone Weil (1909-1943), Hannah Arendt (1906-1975), Simone de Beauvoir (1908-1986), Jeanne Hersch (1910-2000). 

Den Porträts jeweils vorangestellt sind kurze Skizzierungen der jeweiligen Denkschule, in der die einzelnen Damen ihre geistige Entwicklung vollzogen. Hier geht es um die Grundfragen, die man sich jeweils stellte, beispielsweise während der Scholastik, wo man erstmals den Einsatz der (von Gott gegebenen) Erkenntnisfähigkeit des Menschen mit Mitteln der Vernunft (Ratio), des Zweifels und der Skepsis wagte.

Allen Frauen gemeinsam ist ein beeindruckendes Selbstbewusstsein, hohe Bildung, gepaart mit einem herausragenden Verstand, der sich eigenständiges Denken erlaubte, selbst wenn ihre männlichen Pendants Abalaerd, Voltaire, Heidegger oder Sartre hießen. 

Es lohnt, sich mit den Schriften der einzelnen Philosophinnen näher zu befassen. Das vorliegende Buch macht neugierig auf die entsprechenden Texte. Weshalb nicht mit Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht" beginnen? Vielleicht ist ja genau dieses Werk der Schlüssel dazu, um zu verstehen, weshalb es so wenige namhafte Philosophinnen im Laufe der letzten Jahrhunderte gab. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Beziehungskünstler- Wie kreative Paare die Liebe meistern- Barbara Bechtolsheim -Süddeutsche Zeitung Edition


Alain de Botton schreibt zu Beginn seines Vorworts: "Der Zauber des Buches von Barbara von Bechtolsheim liegt in der Frage begründet, die unsere Gesellschaft schon lange versäumt, hinreichend tiefgründig anzusprechen: Wozu ist die Liebe gut?"

Die Autorin ist mehr als zehn Jahre den Spuren deutscher und amerikanischer Künstler, Literaten und Musiker gefolgt. Sie hat deren Prosa und Gedichte gelesen, ist bis zu ihren Geburts- und Lebensorten gereist, hat Konzerte und Ausstellungen besucht. Sie tat es, um zu ermitteln, was man aus den Künstler-Paargeschichten, denn um solche geht es hier, lernen kann. 

Bei den Paaren handelt es sich um Künstlerehen aber auch Liebesbeziehungen, deren Austausch sich auf künstlerischer Ebene im jeweiligen Werk niederschlug. Allen Beziehungen gemeinsam – gleichgültig wie lange sie andauerten oder noch andauern, sind gute wie schwierige Seiten. 

Die Beziehungen, der hier erörterten Künstler, wirkten über die Verliebtheit hinaus, so Bechtholsheim und sie wirkten über einen gewissen Zeitraum bereichernd und beglückend. Die Kunstwerke, die daraus entstanden sind, stehen oftmals im selben Dialog zueinander wie ihre Schöpfer. 

Erläutert werden die Betrachtungen der Soziologen Niklas Luhmann und Eva Illous im Hinblick auf die Chancen und Risiken glücklicher Beziehungen, um dann festzuhalten, dass sich kreative Paare ganz essentiell in ihrem künstlerischen Schaffen begegnen. Wie die Autorin zeigt, kann man an autobiographischen Texten, aber auch an Kunstwerken nachspüren, wie Nähe und Distanz, Kreativität und Krisen, Zeitgeist und Beständigkeit in all ihren Polaritäten deutlich werden. 

Alle Beziehungen waren von Anfang an durch Hypersensibilität, auch durch depressive Veranlagung zumindest eines Partners geprägt. Die Autorin geht der Frage nach, wie die Rollen in diesen Beziehungen verteilt waren, auch wie die Partner jeweils ihr Erleben literarisch, künstlerisch und dokumentarisch zum Ausdruck brachten. Dann auch, wie sich kreative Arbeit und Liebe zueinander verhielten und welchen Einfluss die zeittypischen Geschlechterrollen hatten. Interessant ist die Frage, wie ein Paar als kreative Einheit funktionieren kann. Es geht um mehrere Aspekte: einerseit um die Beziehung zum eigenen Kunstwerk, welches die Künstleridentität zurückspiegelt und bestätigt, andererseits,  darum, dass sich der Schaffende in einer Komposition oder Erarbeitung einer Rolle erkennt und die verschiedenartigen Motive und Emotionen geordnet werden und helfen, den Zusammenhalt des Selbst zu bewahren. 

Wenn zwei Menschen, so die Autorin, mit ihrer Liebe einen geschützten emotionalen Raum schaffen, können in einer solchen Sicherheit die rationalen Kontrollmechanismen des gewöhnlichen Alltags zurücktreten und spontane oder mutige künstlerische Ideen entstehen. 

Anhand von  sehr analytischen Skizzierungen von 16 Paarbeziehungen kann man sich vergegenwärtigen, was Barbara von Bechtolsheim konkret meint. Man muss die Geschichten nicht chronologisch lesen. 

Ich begann mit der Skizzierung einer Paarbeziehung, die in die Rubrik "Dialog" eingeordnet ist. Es geht hierbei um die Beziehung von Ingeborg Bachmann & Paul Celan. Eingangs stellt Frau Bechtolsheim sehr gute Überlegungen zum Thema Dialog an. Sie konstatiert hier, dass es in Beziehungen mit der Zeit mehr Zuhören, mehr explizite Äußerungen benötigen, um im Kontakt zu bleiben. Das gelingt nicht immer, aber im Falle von Bachmann und Celan hat es geklappt. Eine übrigens tolle Beschreibung dieser  bemerkenswerten Beziehung. Überzeugen Sie sich selbst. 

Sehr gut gefallen hat mir auch die Beschreibung der Beziehung von Mascha Kaléko und Chemjo Vinaver in der Rubrik "Wir". Wunderbar ist das Gedicht "Ausgesetzt" aus den frühen Jahren der Beziehung, in der ihr gemeinsamer Weg bereits vorgezeichnet war.

Anregend ist natürlich in der Rubrik "Risiken und Nebenwirkungen" die Skizzierung der Beziehung  zwischen Marilyn Monroe und Arthur Miller. Man lernt deren gemeinsamen Horizont kennen und freut sich, dass sie ohne Rivalität und Neid sechs Jahre zusammenleben und produktiv arbeiten. konnten.

Sehr empfehlenswert 

Helga König  

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Rezension: Frauen 70 + - Cool - Rebellisch- Weise- Rita Kohlmaier- Elisabeth Sandmann Verlag



Die Journalistin #Rita_Kohlmeier ist die Autorin dieses bemerkenswerten Buches, zu dem die Schauspielerin Iris Berben ein Vorwort verfasst hat. Dort schreibt sie u.a. "Ich bin mit einer Minute vor 70 so, wie ich mit 18 und 20 war: Die Radikalität ist wieder zurück!" Für sie steht fest, dass viele Frauen gerade mit 70 plus so aktiv und kompromisslos sind wie nie zuvor und freut sich, dass sie nicht mehr verschwunden sind im Alter und Geschichten, wenn man 40 ist, nicht auserzählt sind.

20 weibliche Persönlichkeiten werden in diesem Buch vorgestellt, die älteste von ihnen ist 1927 geboren und die jüngste 1948. Bei den porträtierten Frauen handelt es sich um Sängerinnen, Schauspielerinnen, Fotografinen, Schriftstellerinnen, Politikerinnen, Juristinnen, aber auch um eine Modedesignerin und eine Philosophin, allesamt noch aktiv und voller Elan.

Bevor ich zu lesen begann, habe ich mir zunächst die Fotos der Damen im Buch lange angeschaut, um die Gesichter zu studieren. Dann habe ich mich entschieden, zunächst das Textporträt über #Herlinde_Koebl  (geb 1939) zu lesen, weil ich den Gesichtsausdruck dieser Frau super-sympathisch fand. Die engagierte Fotografin unternimmt vor allem aufwendige Studien, die sich über viele Jahre hinziehen können. Für ihren Bildzyklus "Spuren der Macht" hat sie seit 1991 einmal im Jahr mehrere Politiker fotografiert, um zu zeigen, wie Macht die Menschen äußerlich verändert und zwar den Blick, die Ausstrahlung und die Haltung.

Koelbl begann mit 37 Jahren ihren fotografischen Weg, wobei mit dem Alter ihre Themen zunehmend politischer wurden. So nahm sie sich 2017 der Flüchtlingskrise an und besuchte Camps in Italien, Griechenland und Deutschland. In den Lagern hat sie Hoffnung Resignation, auch Durchhaltewillen und den unbedingten Wunsch, sich auf neue Verhältnisse einzurichten, gesehen und sehr eindringlich in ihren Bildern visualisiert. Die Fotografin hat das Leben in ihren Facetten festgehalten und sie betrachtet, was sie tut, - übrigens gerade 80 Jahre geworden- , immer noch als Glück.

Bevor man weiterstöbert- man muss die Texte nicht chronologisch lesen-, sollte man sich aber in die Einleitung vertiefen. Hier erfährt man sogleich, dass es kein Buch über das Alter sei, sondern ein Buch über Frauen im sogenannten dritten Lebensakt.

Diese Frauen sind noch immer voller Neugierde, Freude, Witz und Optimismus, wobei auch ihr Leben gelegentlich  durch Zweifel, Niederlagen und Verluste getrübt sei. Haltung, Stil, wenn nötig auch Mut helfe ihnen, niemals aufzugeben, sich treu zu bleiben und einen graden Rücken zu behalten.

Faszinierend sind all die vorgestellten Frauen. Die Schauspielerin #Jane_Fonda (geb. 1937) ist seit Jahrzehnten in Bürgerrechtsbewegungen aktiv, unterstützt Black Panter und macht sich für Rechte der Indigenen in den USA stark. Gemeinsam mit Greenpeace kämpft sie für die Umwelt und ist bei Women´s March ganz vorn. Eine großartige Frau mit viel Power.

Gefreut habe ich mit, dass auch die Schriftstellerin #Annie_Ernaux (geb 1940) porträtiert wird, denn erst kürzlich habe ich zwei ihrer Bücher rezensiert.

#Vivienne_Westwood (geb. 1941), die bedeutendste Modedesignerin unserer Zeit und Aktivistin für ein Klima-Revolution, appelliert an die Vernunft, wenn sie sagt: "Kauft weniger, sucht gut aus, achtet darauf, dass es länger hält."

Dann ist da u.a. noch #Ruth_Bader_Ginsburg  (geb. 1933), die bekannteste Richterin der Welt, die als Einser- Studentin von dem Dekan in Harvard einst gefragt wurde: "Warum nehmen sie hier einem Mann den Platz weg?" Trotz aller Widrigkeiten hat sie ihren Weg gemacht.

Liest man die Porträts aufmerksam, stimmt man der Künstlerin Yoko Ono (ge. 1933) sofort zu, wenn sie sagt: "Manche Menschen sind mit 18 alt, andere sind mit 90 jung, Zeit ist ein von Menschen erschaffenes Konzept."

Sehr empfehlenswert

Helga König

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Rezension: Ausser man tut es- Politische Porträts der Zeitgeschichte-Heribert Prantl- Süddeutsche Zeitung Edition


#Heribert_Prantl, vormals Richter und Staatsanwalt, leitete 25 Jahre lang die Redaktion "Innenpolitik" bei der #Süddeutschen_Zeitung und baute dann das Ressort "Meinung" auf. Zehn Jahre war er Mitglied der Chefredaktion und ist seit 2019 Kolumnist und Autor der #SZ. Des Weiteren ist er Honorarprofessor an der juristischen Fakultät der Universität Bielefeld und Ehrendoktor der Theologie an der Universität Erlangen. Der Autor wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und hat viele bemerkenswerte Bücher verfasst. 

Im vorliegenden Werk stellt er über 60 namhafte Persönlichkeiten vor, die jeweils für eine Sache brannten und auf diese Weise die selbstverschuldete Gleichgültigkeit, die vielen Menschen innewohnt, überwunden haben. 

Untergliedert ist das Werk in: 
Utopisten und andere Realisten 
Mächtige und Mutige 
Aus Politik und Provinz 
Starke Frauen und ihre Widersacher 
Im Kraftwerk der Demokratie J
Juristen sind auch nur Menschen. Aber was für welche! 
Das Abenteuer des Denkens 

Wer schon etwas länger lebt, wird sich an die meisten der  bereits verstorbenen, hier in den Texten verewigten Persönlichkeiten erinnern. Allerdings werden auch namhafte Menschen aus dem Hier und Jetzt vorgestellt, allen voran #Greta_Thunberg. Hier bezieht Heribert Prantl zu Ende seines Textes so zutreffend Stellung: "Es geht um die Rettung des Visionären. Nicht wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen. Derjenige wird den Arzt brauchen, der Visionen nicht zulässt und sie bekämpft.“ 

Im Kapitel "Utopisten und andere Realisten“ findet man zudem ein fast dreiseitiges Porträt von #Klaus_Traube. Viele jüngere Leser werden seine Vita nicht mehr kennen. Er war einst Atommanager und später dann Kernkraftgegner und Umweltforscher. Mit seinem Namen ist der Abhör-Großskandal verbunden. Dass er der Vater der Energiewende wurde, spricht allein schon für ihn. 

#Helmut_Schmidt und auch #Richard_von_Weizsäcker entdeckt man im 2. Kapitel. Für die meisten Deutschen sei von Weizsäcker die geistig-moralische Erneuerung gewesen. Vielleicht auch deshalb, weil er ein Vorausdenker ohne Parteifesseln war. Gefallen hat mir das Porträt von Erhard Eppler, im gleichen Kapitel, weil er die Friedens- und Umweltbewegung mitgeprägt hat. Wie Heribert Prantl genau auf den Punkt gebracht formuliert: "Wenn erbarmungslose Habgier triumphiert, ist es gut für Gerechtigkeit einzutreten". Genau das hat Eppler in seinen Büchern und Texten getan.

Am 21.9.2018 schrieb Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung Magazin eine Liebeserklärung an seinen Vater, von dem er, wie er schreibt, gelernt hat, dass man nicht lange fragt, sondern zupackt, dass man sich etwas zutraut, auch zäh und ausdauernd sein muss und es nichts bringt, alles Mögliche anzufangen, wenn man nichts fertig macht. Heribert Prantl skizziert seinen Vater als einen Menschen, der in der Lage war,  in ihm innere Kraft für sein ganzes Leben zu säen. Dieses Glück hatten nicht viele Jungs seiner Generation. 

Wer noch? Zum Beispiel #Rita_Süßmuth, ohne sie hätte es vermutlich keine Kanzlerin #Angela_Merkel gegeben, vermutet Prantl. Ihr Ministerium sei eine Emanzipationszentrale gewesen. Sie propagierte u.a. eine liberale Abtreibungspolitik und rief 1987 die Aids-Stiftung ins Leben. 

Auch #Mathias_Greffrath wird porträtiert, der Schriftsteller und freie Journalist soll zu den profundesten Globalisierungskritikern gehören. Er sei ein Kritiker des Neoliberalismus in seinen globalen Resonanzen. Prantl lobt die geschliffene Eleganz, bei der man spüre, weshalb es heißt, dass das Wort eine Waffe sei. 

Wen an dieser Stelle noch erwähnen? Vielleicht stellvertretend für alle von mir hier nicht genannten Personen, den wirkmächtigsten Philosophen und Soziologen der Gegenwart? 

Wer das ist? 

#Jürgen_Habermas, ein großer Europäer, der einst Forschungsassistent bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno war. Seine Diskurs-und Kommunikationstheorie sei eine Philosophie der Entängstigung. Der Weltphilosoph sei grund- und menschenrechtsgeprägt. 

Was kann man sich in heutigen Zeiten mehr von einem politischen Menschen hierzulande erhoffen, als grund-und menschenrechtsgeprägt zu sein? 

Habermas warnt, wie man liest, vor einem "Gestaltwandel der Presse zu einem betreuenden Journalismus, der sich Arm in Arm mit der politischen Klasse um das Wohlbefinden der Kunden kümmert"- und so zu einer "postdemokratischen Einschläferung der Öffentlichkeit" beitrage. 

So gesehen ist #Heribert_Prantl  ein Vorbild, nicht zuletzt wegen seines unverbrüchlichen Mutes, seine Meinung zu bekunden und seine Leser immer schön wachzurütteln. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Liebe, Lust & Abenteuer- 97 Begegnungen meines Lebens- Georg Stefan Troller -Corso

Der Autor dieses reich bebilderten Buches ist der 97 jährige Schriftsteller, Fernsehjournalist, Drehbuchautor, Regisseur und Dokumentarfilmer, jüdischer Herkunft Georg Stefan Troller. 

Dem deutschen Publikum bekannt wurde er durch seine langjährige Fernsehserien "Pariser Journal" und "Personenbeschreibung". Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 2014 den Mannheimer Schillerpreis. 

Georg Stefan Troller hat, wie er schreibt, noch einmal sein Gedächtnis geplündert, auch seine Notizen, Filme, verflossenen Geschichten und Fotos "durchgeackert", um das vorliegende Buch zusammenzustellen. Dabei fiel ihn auf, dass er mit den Menschen, mit denen er einst sprach, stets über die Themen "Liebe, Lust und Abenteuer" geplaudert hatte. Das tat er nicht nur aus journalistischer Neugierde, sondern, wie ihm heute scheint, auch, um sich selbst zu bereichern, oder sogar zu retten. 

Wovor? Vor Selbstzweifeln und der Vereinsamung der vorangegangenen Jahre von Emigration und Krieg, wie er nicht unerwähnt lässt. 

Was den Leser erwartet? Interviews, Anekdoten, Aphorismen, Bonmots, die das Ergebnis von Begegnungen  des Jahrhundertmenschen Troller mit namhaften Persönlichkeiten sind.

Zu diesen Persönlichkeiten zählen der Sänger Charles Aznavour, die Chanson- Autorin und Sängerin Barbara, die Schauspielerin Brigitte Bardot, die Schauspielerin Ingrid Bergmann, der Chansondichter und Sänger Jacques Brel, der Autor Charles Bukowski, auch der Liedermacher und Sänger Leonhard Cohen, die Schauspielerin Marlene Dietrich, die Chansonsängerin Juliette Gréco, der Dramatiker Arthur Miller, der Chansonsänger Yves Montand, auch Edith Piaf und Pablo Picasso, zudem der Pianist Arthur Rubinstein und der Philosoph Jean –Paul Sartre, um nur einige zu nennen. 

Man erfährt stets, wo die  einzelnen Begegnungen stattfanden. Viele davon in Paris übrigens.

Besonders berührt hat mich das Gespräch mit dem Schweizer Philanthropen Edmond Kaiser, der Gründer des internationalen Kinderhilfswerks "Terre des Hommes" ist und aufgefallen ist mir die unglaubliche optische Ähnlichkeit Trollers  mit Sir Peter Ustinov, den er im Pariser Restaurant Allais traf. Wenn das kein Zufall ist!

Ein  gelungenes Buch, das viel über den Autor und seine Gegenüber aussagt. 

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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Liebe, Lust und Abenteuer: 97 Begegnungen meines Lebens

Rezension: Wir wollen es nochmal wissen!- Frauen, die kein Alter kennen-Nicole Andries, Felix Broede-Elisabeth Sandmann Verlag

Die Autorin dieses bemerkenswerten Buches ist die Kultur- und Medienschaffende #Nicole_Andries, die durch das kulturwissenschaftliche Buch- und Ausstellungsprojekt  "Zaunwelten" Bekanntheit erlangte. Die ansprechenden Fotos  für das Werk hat der renommierte Fotograf #Felix_Brode realisiert.

Die Filmemacherin #Margarethe_von_Trotta, die das Vorwort verfasst hat,  meint,  dass die im Buch portraitierten Frauen solche sind, "die das Leben neu erkunden, Entdeckungen mit sich selbst machen, sich in aller Ruhe im Spiegel betrachten, ohne gleich wieder wegzuschauen vor Entsetzen über ihre Falten und zur nächsten Botox-Behandlung eilen." Das lässt aufhorchen und motiviert zum Weiterlesen. 

Nicole Andries lässt im Prolog ihre LeserInnen dann wissen, dass sie mit ihrem Buch etwas dafür tun möchte, dass Frauen ab 60 Jahren in der Öffentlichkeit sichtbarer werden, indem sie solche Frauen zeigt, die neue weibliche Rollenbilder im Alter erproben und vorleben und auf diese Weise einen Beitrag leisten, die Gesellschaft auf ihre Art zu verändern. 

Nicht nur in der Medienlandschaft sei der Anteil von älteren Frauen gering. Das jedoch muss sich natürlich ändern. Dazu ist aber ein neues Bewusstsein notwendig. 

Im Zuge von Andries Recherchen konnte sie keinen Film ausmachen, in welchem eine Frau von 60 plus eine Vorbildfunktion übernahm oder überhaupt in der Arbeitswelt gezeigt wurde. Merkwürdig, nicht wahr?

Frauen, die sich im Alter neu erfinden und weiterentwickeln sind #Vorreiterinnen des "#active_aging", sind in den Augen der Autorin jene, von deren #Weisheit und #Lebenswissen eine Gesellschaft im demografischen Wandel entscheidend profitieren kann. 

Die vorgestellten Frauen im Buch definiert Nicole Andries als #Pionierinnen, die den Raum der geschenkten Jahrzehnte und die hinzugewonnene Lebenszeit neu vermessen. Dabei sei #Neugierde die Triebkraft für die Veränderung und wohl auch der Schlüssel zur Erneuerung. 

Alle 15 Protagonistinnen im Buch gehören der Kriegs- beziehungsweise unmittelbaren Nachkriegsgeneration an. Dies scheint dazu geführt zu haben, dass ein besonderer Lebensmut sie auszeichnet mit der Haltung "Geht nicht, gibt es nicht". 

Im Inhaltsverzeichnis bereits erfährt man, wann die einzelnen Damen geboren sind, welcher Tätigkeit sie früher und welcher sie heute nachgehen. Alle Damen, die auf Fotos abgelichtet  sind, verfügen über eine beeindruckende Ausstrahlung. 

Der Reigen beginnt  mit der 70 jährigen Heidi Schumacher, einer ehemaligen Fernsehjournalistin bei der ARD, die heute #Tangolehrerin ist. Man erfährt wie sie zu ihrem neuen Beruf kam, wie sie ich in #Buenos_Aires in einen tangotanzenden Philosophen verliebte, ihn geheiratet hat, liest aber auch von ihrer bemerkenswerten Vita all die Jahre davor und schließlich von ihrem vielseitigen Engagement als Tanzlehrerin im Hier und Heute. 

Wera Bunge, Jahrgang 1944 war einst Assistentin der Generalmusik- und Operndirektoren des Saarländischen Staatstheaters und ist heute Host der Kupferbar Berlin. Als Host ist sie eine Salondame, die vor allem Begegnungen stiftet. Ihre Vita ist unglaublich facettenreich und  wirklich sehr interessant. Die noch immer schöne Frau, hat Tiefe und beweist durch ihr Tun ihre Jugendlichkeit. 

Auch über die Politikerin #Renate_Schmidt erfährt man Wissenswertes, wobei jede einzelne Biografie es verdient hat, hier verkürzt wiedergegeben zu werden, aber die Neugierde auf das Buch soll nicht vermindert werden dadurch, dass man zu viel vorweg nimmt..

Stark und kreativ sind aller 15 Persönlichkeiten und jede Einzelne beweist, dass es klug ist, immer wieder einen neuen Weg zu finden und sich neue Aufgaben zu suchen oder angstfrei zu akzeptieren, wenn diese auf uns zukommen. 

Leben heißt schließlich zu lernen und Probleme zu lösen,vor allem aber Erkenntnisse zu sammeln und genau darum geht es auch bei diesem tollen Frauen.

Sehr empfehlenswert.

Helga König

Im Fachhandel erhältlich

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Wir wollen es nochmal wissen: Frauen, die kein Alter kennen

Rezension: My Love Story- Tina Turner - Die Autobiografie-Penguin

#Tina_Turner zählt mit zwölf Grammys und rund 200 Millionen verkauften Platten zu den erfolgreichsten Popmusikerinnen aller Zeiten. 2018 erhielt die fast 80 Jährige den Grammy "Lifetime Archievement Award". 

Das vorliegende Buch hat sie gemeinsam mit der US-Bestellerautorin Deborah Davis und dem deutschen Journalisten und Buchautor Dominik Wichmann verfasst. Hier berichtet sie ausführlich von ihrem Leben und Schaffen und zwar im Rahmen von 12 Kapiteln. 

Ihre unglücklichen Jahre mit dem Musiker und Psychopathen Ike Turner, mit dem sie einst verheiratet war, spart sie nicht aus. Mit ihm hat ihre Karriere begonnen, deren Preis  sehr hoch war. Sie erzählt unverblümt Episoden aus dieser Ehe und berichtet von Ikes Gewalttätigkeit und seiner Lust, sie zu demütigen. Das geschieht ohne Hass und sehr nachdenklich. Sie hat mit diesem Gewalttätigen abgeschlossen. Unverkennbar. Aus heutiger Sicht, schreibt sie, würde sie das Zusammenleben mit Ike als Farce bezeichnen, geprägt von Übergriffen und Angst anstelle von Liebe oder auch Zuneigung. 

Der Psychopath zerstörte damals ihr Selbstvertrauen und ließ Suizidgedanken in ihr aufkommen. Die übliche Methode bei Psychopathen. Zugleich aber wurden die beiden beruflich immer erfolgreicher. Überall in den USA gaben sie Konzerte und traten in beliebten Fernsehshows auf. 1971 wurde  "Proud Mary" ein Hit und kletterte auf Platz vier in der Pop Charts. Die Gewalttätigkeit Ikes wurde dessen ungeachtet immer schlimmer. 

Tina schreibt: "Er schüttete mir heißen Kaffee ins Gesicht, was Verbrennungen dritten Grades zur Folge hatte. Meine Nase benutzte er sooft als Punchingball, dass ich beim Singen mein Blut schmeckte. Er brach mir den Kiefer. Und ich wusste gar nicht mehr wie es ist kein blaues Auge zu haben. Er glaubte er würde auf diese Weise Macht über mich ausüben."

Der Gedemütigten halfen buddhistische Übungen, sich nicht aufzuregen und stark zu bleiben und sich schließlich von ihm zu trennen. Sie resümiert "Ich war nicht nur vor Ike davongelaufen. Ich war in ein neues Leben gelaufen. Mein neues Leben.

Damals war sie fast 40 Jahre alt und entschied alleine weiterzumachen. Noch wusste sie nicht wie aber sie wusste, dass sie unbeirrt ihren Weg weiter verfolgen würde. Wie steil ihr Aufstieg werden würde, zeigte ihre glänzende Zukunft. 

Hier erzählt sie von ihren Welterfolgen, ihren Auftritten mit David Bowie, auch mit Mick Jagger und anderen mehr. Je größer ihr Erfolg wurde, umso stiller wurde es um Ike. Und dann lernte sie schließlich Erwin Bach zufällig in Bern kennen, wo sie für "Private Dancer" Werbung machte. 

Der um 16 Jahre jüngere Mann wird die Liebe ihres Lebens. Daran hat sich in den letzten 32 Jahren offenbar nichts geändert. 

Tina Turner weiß wie man auf der Bühne Zehntausende von Menschen unterhält und berichtet wie sie das macht. In allem ist sie unglaublich offen und trotz allen Leides und schlimmer Krankheiten in spürbarer Weise fröhlich und ausgesprochen sympathisch. Genau das springt auf andere Menschen über, gleichgültig ob sie singt oder schreibt oder spricht. Man nimmt ihr inneres Licht wahr und freut sich, dass es Menschen wie Tina Turner gibt. Sie ist eine Hoffnungsträgerinnen, die es sich nicht leicht gemacht hat, erfolgreich zu sein.

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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My Love Story: Die Autobiografie

Rezension: Vom Einfachen das Beste- Franz Keller- Westend

Franz Keller, der Autor dieses äußerst klugen Buches, zählt zu den renommiertesten Sterneköchen in Deutschland. Dass der Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann das Vorwort zu diesem Werk schrieb, wundert keinen, der je bei Franz Keller gespeist hat.

Den Leser erwartet auf den 240 Seiten ein Mix aus Lebenserinnerungen und Lebensphilosophie, daneben politische und gesellschaftliche Betrachtungen und eine Menge Sachwissen aus dem kulinarischen Bereich.

Franz Keller tut es in der Seele weh, wenn er den Niedergang unserer Ess- und Kochkultur in den letzten Jahrzehnten beobachtet. Ihm ist bewusst, dass wir dabei sind, unsere Zeit zum Kochen und für eine vernünftige Ernährung wegzurationalisieren. Dass dies Folgen hat, wird an den Kosten erkennbar, die aufgrund von falscher Ernährung für unser Gesundheitssystem anfallen. Mittlerweile nämlich betragen diese Kosten jährlich rund siebzehn Milliarden Euro.

Für den Spitzenkoch gehören Essensqualität und Lebensqualität zusammen. Deshalb auch hat ihn seine Vita zu dem gemacht, was er heute ist: ein Mensch, der durch seine Tätigkeit glaubhaft bekundet, wie ernst es ihm mit seinem Nein im Hinblick auf industrielle Nahrungsmittelproduktion ist, weil diese den Respekt vor Tieren und Pflanzen verloren hat und uns alle letztlich krank macht.

Der gebürtige Freiburger Autor erzählt von seiner Kindheit in den 1950er Jahren, wo er im elterlichen Betrieb mit den Tieren, den Reben, dem Boden in einem sehr überschaubaren, gut funktionierenden Verwertungskreislauf lebte. Das war damals nichts Ungewöhnliches.

Heute allerdings verbannen die meisten Menschen die Nutztiere aus ihrem Leben in riesige Zucht-, Mast- und Schlachtbetriebe. Dabei, so Keller, werden die Lebens- bzw. Produktionsbedingungen, die diese Tiere erleiden müssen, bewusst unserer Alltagswahrnehmung entzogen.

Man erfährt im vorliegenden Buch wie es einst zuging auf Schlachtfesten in Oberbergen am Kaiserstuhl, wo er seine Kindheit verbrachte und erkennt sehr rasch, dass es dem Autor gelungen ist, den Kreis zu schließen, der Erfahrungen aus all seinen Lebensperioden enthält.

Für den Sohn aus einem landwirtschaftlich angelegten Betrieb am  Kaiserstuhl und heutigen Besitzer des Falkenhofs im Taunus gilt: Ein Schwein muss zwei Winter gesehen haben und es darf fett werden, ansonsten ist es einfach nur eine arme Sau.

Franz Keller möchte mit seiner Publikation bewirken, dass die Leser anfangen nachzudenken. Dabei geht es ihm darum, dass wirklich jeder Einzelne ins Grübeln kommt und sich die Frage stellt: "Was kann ich tun, damit diese Welt wenigstens hier bei uns durch mein konkretes Handeln besser wird?"  Was das im Einzelnen bedeutet, kann man dem Buch entnehmen und sich auch klar machen, dass die Preispolitik bei Lebensmitteln nach wie vor von der Billigphilosophie bestimmt wird, jedoch nicht von der Qualitätsstrategie.

Der gebürtige Badener bezeichnet sich als Genussmensch und ist als solcher seit Jahrzehnten dem echten Genuss auf der Spur. Es ist ungemein spannend seine Vita kennenzulernen, zumal er offen über den Konflikt spricht, den er mit seinem erfolgreichen, aber leider ziemlich despotischen Vater hatte, wie so viele Söhne aus jener Zeit. Dass seine Mutter als erste Frau in Deutschland im Jahre 1969 mit einem Michelin-Stern für den "Schwarzen Adler" in  Oberbergen/Kaiserstuhl geehrt wurde und das, obschon sie niemals eine Kochlehre absolviert hatte, zeigt, dass die Gabe exzellent kochen zu können, offenbar bei Franz Keller genetisch bedingt ist.

Während er von seinem Vater, dem Winzer und Weinimporteur, viel über französische Weine erfahren hat, lernte er von seiner Mutter eine Menge Wissenswertes über das Kochen. Seine Kochlehre absolvierte er allerdings in der "Zähringer Burg" in Freiburg. Wie es dann weiterging und wie Franz Keller schließlich bei der Kochlegende Paul Bocus tätig werden konnte, was er von ihm erlernt hat und wie es dazu kam, dass er trotz seiner vielen Ehrungen als Küchenchef des "Schwarzen Adlers" in Oberbergen sich dazu entschied, ein eigenes Lokal in Köln zu eröffnen, zeigt,  dass man für Abnabelungen mitunter  einen hohen Preis zahlen muss. Doch die Freiheit gibt es nicht gratis, auch nicht für einen Spitzenkoch.

Franz Keller schreibt von seinen materiellen Schwierigkeiten in seinem Kölner 2 Sterne-Restaurant, sieht sich aber nicht als Opfer des geldschluckenden Spektakels, sondern als Mensch, der gelernt hat, den Wettstreit um die beste Küche als Wettstreit um Investoren und das beste Image in Frage zu stellen.

Der Höhen und Tiefen durchlebt habende Macher schreibt auch von seinen Erfahrungen auf der "Bühler Höhe", wo er als Küchenchef und Gastronomiedirektor der bestbezahlte Koch Europas war. Doch auch diese war nur eine Station zu weiteren Erkenntnissen bis er irgendwann zu Beginn der 1990er Jahre die "Adler Wirtschaft" in Hattenheim/Rheingau eröffnete und dem Sternenhimmel bewusst den Rücken zuwandte. Seit dieser Zeit stand für ihn neben Kochen und Betreuen der Gäste das Thema artgerechte Haltung und die Auswahl der Überwachung von Produzenten, Züchtern und Handel im Mittelpunkt.

Der Schritt vom Gastronom zum Bauern war nur logisch konsequent. Dabei besteht der Unterschied zwischen den Tieren von Franz Keller und denen aus der Massentierhaltung im Entwicklungs- und Reifeprozess. Das Fleisch vom Falkenhof gibt es nur in wenigen Restaurants und in der Adler Wirtschaft, die inzwischen Franz Kellers Sohn betreibt. 

Über den Falkenhof im Wispertal  liest man im letzten Teil des Buches viel Wissenwertes und hier auch wird Franz Keller in seinen Überlegungen besonders systemkritisch. Er spricht Klartext. Das zeigt welch ausgereifte Persönlichkeit er ist.

Zum Schluss gibt es noch einige gute Rezepte ohne die üblichen Hochglanz-Food-Fotos und hervorragende Betrachtungen auf dem Weg zu einer ehrlichen Küche. 

Bleibt festzuhalten: Dies ist ein sehr gutes, zum Nachdenken anregendes Buch, verfasst von einem  bewussten, lebensklugen  Menschen, der aufgrund von Eigenerfahrung und viel Sachwissen seinen Lesern wirklich Erhellendes vermitteln kann.

Maximal empfehlenswert.

Helga König

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