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Rezension: Mensch Prantl- Ein autobiographisches Kalendarium- Heribert Prantl- Langenmüller



Der im Sommer 1953 geborene Heribert Prantl war Richter und Staatsanwalt, bevor er 1988 politischer Kommentator und Leitartikler bei der Süddeutschen Zeitung wurde. 25 Jahre lang leitete er dort die Redaktion der Innenpolitik, baute das Ressort "Meinung" auf und war beinahe 10 Jahre hindurch Mitglied der Chefredaktion. Seit dem Frühling 2019 schreibt er als Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung. Darüber hinaus ist er Honorarprofessor an der juristischen Fakultät der Uni Bielefeld und Ehrendoktor der Theologie an der Uni Erlangen. Ausgezeichnet wurde er mit vielen Preisen, die man der Innenseite des Buchumschlags im Einzelnen entnehmen kann. 

Das hier vorliegende Buch bezeichnet er als "ein sehr persönliches und sehr politisches Werk, ein autobiographisches Kalendarium." Nach einem mehrseitigen Vorwort untergliedert Heribert Prantl sein Werk in 12 Kapitel, die er mit den Monaten des Jahresverlaufs assoziiert und hier mit persönlichen Erlebnissen, primär aber mit zentralen politischen Ereignissen, die ihm wichtig sind und sich vor oder während seines Lebens in besagten Monaten ereigneten und auf ihn gewirkt haben, ja vielleicht sogar zu dem Menschen machten, der er heute ist. Eine klassische Autobiographie empfindet er für sich zu peinlich. Ich vermute, weil er erfreulicherweise kein Narzisst ist.

Bei den 12 Themen geht es um Frieden, Demokratie, auch um Menschenwürde, Gleichberechtigung, Migration und Pressefreiheit. Die Analyse und die Diskussion, Abenteuer und Schnurren dieser Themen, so seine Worte, sind mit eigenen persönlichen Erlebnissen verwoben. Zu Beginn eines jeden Kapitels skizziert der Autor stets, worum es geht. Im Januar um den Frieden in unfriedlichen Zeiten, weil am ersten Januar in der römisch-katholischen Kirche der "Weltfriedenstag" gefeiert wird. 

Ich stimme Heribert Prantl zu, wenn er sagt "Es gibt nichts Wichtigeres als den Frieden; es ist hoffnungsvoll, wenn damit das Jahr beginnt. Die Welt braucht Hoffnung." In seinen Überlegungen zum Frieden erwähnt er u.a. den Philosophen Immanuel Kant und dessen Schrift "Zum ewigen Frieden". Dieser Tage twitterte ich übrigens anlässlich des Geburtstags von Goethe dessen Gedanken "Ich bin ein Kind des Friedens und will Friede halten für und für mit der ganzen Welt, da ich ihn einmal mit mir selbst geschlossen habe", und dachte dabei an Heribert Prantl, von dem diese Worte auch stammen könnten, weil bereits das erste Kapitel des Buches auch ihn als Kind des Friedens erkennen lässt. 

Hier schreibt er u.a. über Hass, der für ihn die schlimmste Kraft sei, weil er blind mache. Hass mache andere zu Objekten, die der Befriedigung des eigenen Hasses dienen müssen. Prantl ist der Überzeugung, dass Hass entmenschliche und zudem ansteckend sei, vor allem aber das Morden für eine tapfere Tat halte. Ein friedliebender Mensch hält Hass von sich fern. 

Der Autor weist darauf hin, dass unser Grundgesetz eine sehr friedliebende Verfassung ist, denn sie enthalte ein Friedensgebot, konkret die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Prantl denkt  in seinem Buch auch über Pazifisten nach und lässt nicht unerwähnt, dass sie trotz des Friedennobelpreises Außenseiter seien und schreibt weiter "aber so randständig wie heute angesichts der akuten Gefährlichkeit von Putins Brutal-Imperialismus waren sie schon lange nicht mehr." Genau so ist es, leider!

Der Jurist hält fest, dass Frieden keine Schmuckvokabel sei, sondern tragendes Prinzip der Verfassung, das als tragendes Prinzip jedoch noch nicht entwickelt worden sei und hier schwenkt der Autor wie immer mal wieder in seinem Buch in seine sehr persönlichen Erinnerungen um, erinnert an seine Großmutter, die wie andere aus seiner Familie und später dann in seiner "peer-group" ihn prägten, seiner inneren Haltung, seinem Denken und seinem Schreiben Vorschub leisteten. Zu dieser inneren Haltung zählt auch die Hoffnung, weil in ihr die Kraft zum Handeln stecke. Hoffnung, so Prantl, verweigere dem Unglück und Unheil den totalen Zugriff. Feinde entfeinden, jetzt und heute, darum geht es und aus der Vergangenheit zu lernen, dass dies möglich sei. 

Bereits das erste Kapitel begeisterte mich so sehr, dass ich die folgenden Abende neugierig weiterlas. Diese Art von Autobiografie kommt ohne Selbstdarstellung aus, nimmt sich immer wieder zurück und zeigt, dass man zu dem wird, der man ist, durch das, was man erlernt und durch andere entgegengenbracht bekommt, letztlich aber wie man dies verarbeitet. 

Immer wieder gibt es einen historischen Exkurs, so auch im 2. Kapitel, das sich mit den Wehen der Demokratie befasst, die Weimarer Republik fokussiert, zurückgeht bis zum Hambacher Fest von 1832 sich erneut in die Weimarer Republik bewegt, von Carl Legien berichtet, der gewissermaßen Urahn der DGB-Vorsitzenden von heute war und zu Beginn der 20er Jahre fürs Erste die junge Weimarer Demokratie rettete. Dann taucht Prantls Onkel Hans in den Reflektionen auf, der 1923 in München auf Hitler schoss als dieser mit anderen die parlamentarische Demokratie stürzen wollte. Auf einen solchen Onkel darf man stolz sein, auch wenn er Hitler nicht ins Jenseits befördert hat aber dies zumindest noch Jahre danach bedauert.

Schon im 3. Kapitel ahnt man, welch Geistes Kind der Autor ist, sofern man ihn noch nicht aus seinen vielen journalistischen Beiträgen kennen sollte. Gleichberechtigung ist ihm wichtig. Er erzählt von Frauen wie etwa Elisabeth Selbert, deren Namen heute kaum noch einer kennt, eine Juristin, der man einst den Kampf für die Frauenrechte nicht verziehen hatte. 

Prantl vergisst auch nicht seine Großmutter, Mutter von 15 Kindern, die trotz ihrer vielen Arbeit, sich Zeit nahm, zahllose Briefe in die USA zu verfassen, um nach ihrem vermissten Sohn zu suchen, einem Soldaten im 2. Weltkrieg. Die Recherchen seiner Großmutter seien sein Initiationserlebnis, der Beginn seiner journalistischen Interessen gewesen. Im Alter von 15 Jahren begann Prantl Artikel für drei Lokalzeitungen zu schreiben.

Der  Jurist ist und war ein Mann der Feder, ein Analytiker mit vielen intellektuellen Interessen, sich für viel Gutes stark machend, weltoffen, neugierig, seine Liebesbeziehungen nicht zu Markte tragend... Sehr sympathisch! 

Er schreibt in seinem Buch auch über seine Beziehung zur Religion und Kirche, verbindet dies mit Ostern, das er in den April positioniert. Der ehemalige Messdiener schreibt über Luther aber auch, dass er Weihrauch mag- noch immer, zudem die Rituale der Heiligen. Prantl sieht vieles, was mit der Kirche zusammenhängt, kritisch, aber er schätzt im Zusammenhang mit der Kirche Begriffe wie Barmherzigkeit, Seligkeit und Gnade, die überall in den Räumen der großen Stille Platz hätten. Er reflektiert in diesem Kapitel zudem den Begriff der Sünde. Sie ist für ihn all das, was Menschen entzweit und verfeindet, all das, was sie vom guten und sinnvollen Leben entfremdet. Was sie allerdings nicht sei, ist eine Moralformel. 

Es ist unmöglich alles im Rahmen der Rezension zu streifen, was Prantl in seinem Buch anführt. Beim Thema Menschenwürde oder der Migration erkennt man den tiefen Humanismus, von dem dieser Autor angetrieben ist, wenn er schreibt. Ich empfehle hier speziell die Seiten 136/137 "Eine Seite für jedes Schicksal", so kann nur ein Mensch schreiben, der mit Herzblut einen wahrhaftigen aufrüttelten Text verfassen möchte und dies auch kann. "Handeln wir, wie wir behandelt werden wollten, wenn wir Flüchtlinge wären.!" Prantl möchte nicht neutral sein, wenn es um Humanität geht und das ist gut so. Für ihn gehört zur Fluchtursachenbekämpfung eine restriktive Waffenpolitik und eine neue Handelspolitik. 

Dann schreibt er noch vom großen Widerstand in der Diktatur und dem kleinen in der Demokratie, seinen Erfahrungen mit unterschiedlichen Politikern sowie mit der Pressefreiheit. Für ihn gilt: "Ein Journalist braucht keine Partei, er braucht Haltung". Er selbst sieht seine Aufgabe als politischer Journalist darin, für die Grundrechte und Grundwerte einzutreten: "Respekt für Minderheiten, soziale Verantwortung, Gleichheit vor den Gesetz". Pressefreiheit ist für ihn eine empathische Freiheit, die aber keineswegs grenzenlos sei. 

Prantl schreibt auch über seine "Heimaten". Schön zu lesen, dass für ihn Heimat "Urvertrauen" sei, das, was Halt gebe. Sie bestehe nicht aus Blut und Boden, sondern sie sei das Bewusstsein, dass man seinen Platz, seine Aufgabe und seine Geschichte habe. Was er damit meint, kann man auf Seite 219ff nachlesen. Soviel nur. Ich stimme ihm zu. Gut wäre, wenn sich Lokalpolitiker seinen Gedanken anschließen und sie tatkräftig umsetzen würden, um der provinziellen Depression entgegenzuwirken. 

Es folgen die Herbstmonate, Prantls letzte Begegnung mit Helmut Kohl, Gedanken zur Deutschen Einheit und seine Überlegungen dazu, dass man damals das Grundgesetz hätte reformieren können. Trauertage im November... Was sie für Prantl bedeuten, kann man in seinem Buch nachlesen. Hier auch liest man über seine Erinnerungen an mit Rainer Barzel. Sehr nachdenkliche Seiten übrigens, die mich berührt haben. Nachdenklich auch seine Gedanken zum Tod und den Tränen und weshalb Trauer nicht nur eine Privatsache ist. 

Was noch? Für Prantl endet da Jahr damit, womit es begonnen hat mit einem Gedanken zum Thema Frieden, der in der Erkenntnis besteht, dass erst ein Perspektivwechsel Frieden ermöglicht. Hoffen wir also auf einen Perspektivwechsel noch in diesem Jahr!

Heribert  Prantl ist ein Kopfmensch, ein feinfühliger Analytiker mit einem großen Herzen, so mein Eindruck nach diesem spannend zu lesenden, lehrreichen Buch.

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Picassos Friseur- Monika Czernin, Melissa Müller- Diogenes

Die Autorinnen dieses spannend zu lesenden Buches sind Melissa Müller und Monika Czernin. Frau Müller, in Wien geboren, lebt heute als Schriftstellerin und Drehbuchautorin in München und hat bereits diverse Bestseller verfasst, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden sind. Monika Czernin, eine gebürtige Klagenfurterin, ist eine renommierte Filmemacherin und Autorin. Auch ihre Bücher sind Bestseller. Was noch? Die beiden Frauen haben bereits mehrere Dokumentarfilme gemeinsam realisiert. Das Vorwort zum Buch hat André Heller verfasst. 

Diese Doppelbiografie ist die Geschichte einer Freundschaft und zwar zwischen dem Ausnahmekünstler Pablo Picasso und Eugenio Arias, seinem Friseur.

Eugenio Arias hatte als Widerstandkämpfer im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft und nannte als ausgemachte Leseratte eine beachtliche Bibliothek sein Eigen. Gemeinsam war den beiden Freunden spanischer Herkunft die Liebe zum Stierkampf, die Liebe zur Freiheit und dem Frieden, für den beide sich - jeder auf seine Art- bewundernswert einbrachten. 

Man lernt Eugenio als warmherzigen, humorvollen, unbeirrbaren, unbestechlichen, gradlinigen Menschen voller Lebensfreude kennen, der genau deshalb eine Sonderstellung in Picassos Leben einnahm. Dieser liebte es, wenn sein Freundeskreis aus Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten bestand. Um seinen Tisch versammelten sich, so erfährt man, Intellektuelle, Künstler, Stierzüchter und Handwerker und dieser Personenkreis war auch um ihn herum beim Stierkampf.

Zu Eugenio verhielt Picasso sich generell anders, als zu seinen Frauen und sonstig engen Freunden, bei denen er nicht selten seinen Narzissmus auslebte und überaus verletzend sein konnte. 

Zwischen Arias und Pablo war Augenhöhe angesagt und dies hing damit zusammen, dass Eugenio seine Unabhängigkeit von Picasso schon früh durch sein selbstbewusstes Verhalten verdeutlichte. 

Ihr gemeinsames Interesse- der Stierkampf- ist eines der Hauptthemen des Buches, hier aber auch zu anderen Themen kann man immer wieder auch  Originaltexte- Erinnerungen Eugenios- lesen, die in die Texte der Autorinnen  geschickt eingeflochten sind und begreift  so die Freude der beiden an der Fiesta, die aus heutiger Sicht für Nicht-Spanier nicht nachvollziehbar ist. 

Man liest des Weiteren vom Spanischen Bürgerkrieg, der dazu führte, dass die Freunde ihr Heimatland verlassen mussten, wobei Picasso seinen "acte de résistance" von seinem sicheren Atelier aus führte, während Arias an vorderster Front kämpfte. Picasso begriff die "Kunst als Waffe des Angriffs und der Verteidigung gegen den Feind." Beide hatten sich unabhängig voneinander irgendwann zum Kommunismus bekannt, wobei ihre tiefe Bindung an die Heimat, ihre Sehnsucht nach einem demokratischen Spanien offenbar die unmittelbare Motivation gewesen sei, der Partei beizutreten. So wollten sie zeigen, dass sie sich gegen den Faschisten Franco positioniert hatten. 

Arias sei ein Sozialromantiker gewesen, dazu ein Alltagsphilosoph, der einem gedanklichen Gebilde fern jeglicher realsozialistischer Wirklichkeit anhing. Picassos Gedankengänge seien komplexer gewesen. Darüber liest man auch Wissenswertes. 

Spannend auch das Thema #Guernica. Am 26.4.1937 kostete der Angriff deutscher Flieger dort Hunderten von Menschen das Leben. Man erfährt mehr zu diesem Terroranschlag und zum "wichtigsten Bild der modernen Kunst". Zu diesem Zeitpunkt kämpfte Arias als Hauptmann in Aragonien gegen Franco. 

Seite für Seite liest man mehr über das, was beide zu dem machte, was sie später waren, liest von den vielen Spaniern, die in Frankreich Zuflucht suchten, aber auch von den 10 000 Spaniern die nach Mauthausen deportiert wurden. 

Man erfährt von der tiefen Mitmenschlichkeit und Großzügigkeit Picassos, der mit den materiellen Erfolgen seiner Arbeit nicht geizte und spanischen Migranten half, wo er nur konnte. Der gesellige Maler soll aus dem Wechselspiel zwischen Geselligkeit und Einsamkeit seine Kraft und Kreativität gezogen, dabei aber wenig Zeit an die Alltäglichkeiten des Lebens verschwendet haben. 

Spannend über die Unterschiede in der Lebenseinstellung der beiden Freunde zu lesen, auch was die Liebe anbelangte. 

Arias lernte von Picasso sehen, liest man und auch, dass er keine Picasso-Ausstellung versäumte. Was sehen lernen im Sinne von Picasso bedeutet, liest man in Erinnerungen von Arias auf Seite 197. 

Dass Eugenio Arias seinem Freund zu Ehren nach dessen Tod ein Museum gewidmet hat, zeigt die Tiefe dieser Freundschaft. 

Ein beeindruckendes Buch, das in die Welt der Kunst führt und begreifbar macht wie facettenreich diese aber die Menschen, die sie schaffen, sein können.  Vor allem zeigt es, dass Freundschaft in Seelenverwandtschaft begründet liegt und viel mit gegenseitigem  Respekt und Wertschätzung zu tun hat.

Maximal empfehlenswert. 

Helga König 

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