Herausgeberin dieses Werkes ist die Publizistin, Literaturkritikerin und Moderatorin #Insa_Wilke, die 2014 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literatur ausgezeichnet wurde.
Das Buch erschien am 13.8.2015, also vor zwei Tagen, gerade rechtzeitig zum 60. Geburtstag des "leidenschaftlichen Zeitgenossen" Roger Willemsen.
Roger Willemsen kennen viele und dies hat diverse Gründe, die Ines Geipel in ihrem Beitrag auf Seite 249 zusammenfasst:
"Er schreibt Bücher, die beinah alle zu Bestsellern werden. Er tritt mit Programmen im ganzen Land auf, und die Säle sind rappelvoll. Er produziert Filme, fördert Literaturfestivals, ruft Radiosendungen ins Leben, tritt als Rate-Gast auf, moderiert die Echo-Klassik-Gala, schreibt Kolumnen, hält reden und Vorträge, macht Hörbücher und Musik-CDs. Die ideen-erotische Liste ist schier endlos. Vor allem aber weiß Roger Willemsen Themen zu setzen. Sein Credo: "Das Ich hat sich als Forderung zu verhalten." Oder auch: Das Ich ist vieles, aber wenigstens ist es vehement, engagiert, unterhaltend hochkarätig. Es ist überaus erfolgreich und nicht minder populär. Es hat ein hochprofessioneller Signalist seiner Zeit zu sein und natürlich ist es politisch. So ist er für Amnesty International, Terre de Femmes; CARE International und die UN-Flüchtlingshilfe tätig. Er ist Schirmherr des Afrikanischen Frauenvereins, unterstützt die Aktion "Deine Stimme gegen Armut", ist Pate des Kinderhospizes Bethel für sterbende Kinder und Mitglied von Attac. Es ist kein Engagement, das auf dem Papier steht. Wenn er Hilfe sagt, meint er sie konkret." (S.249).
#Ines_Geipel ist eine der rund 30 Autorinnen und Autoren, deren Beiträge neben teilweise unveröffentlichten Selbstzeugnissen das lange Gespräch zwischen Roger Willemsen und Insa Wilke immer wieder unterbrechen und einen Gesamteindruck zum Werk sowie zur Person Roger Willemsen vermitteln.
Die Liste der Autorinnen und Autoren ist beeindruckend, zu ihnen zählen auch die Politiker Gerhart Baum, Peter Gauweiler, Gregor Gysi, der Filmemacher Alexander Kluge, der Journalist Manfred Bissinger, der Lektor Jürgen Hosemann und andere mehr.
Um sich einen schnellen Überblick über das Leben von Roger Willemsen zu verschaffen, hat man die Möglichkeit, Eckdaten seiner Vita auf den letzten Seiten des Werks zu studieren. Im Anschluss daran, kann man sich in die umfangreiche Bibliographie seines Schaffens vertiefen, auch Fotos und visuelle Selbstzeugnisse von ihm sind zu bestaunen, um dann mit der Lektüre des Buches zu beginnen und hier sofort einen Eindruck zu gewinnen, das der Protagonist schon immer mit Sprache spielte. Das dokumentiert speziell auch eine beinahe poetische Aussage, die er im zarten Alter von drei Jahren von sich gab: "Kriegen wir den Schlitten, wenn es mittagt".
Roger Willemsen erweist sich als ein besonders offener Gesprächspartner und man erfährt zunächst viel über seine Kindheit, jener Zeit als er noch davon träumte, Förster zu werden.
Seine Abiturrede ist abgedruckt und man liest sich durch sein bisheriges Leben, hält immer wieder inne, sei es um frühe Zeichnungen und Collagen von ihm zu bewundern oder ein wenig über eine seiner Antworten nachzudenken, so auch jene, weshalb er nicht lange an der Uni in München blieb.
Er begründet: "Ich schaute eines Tages an einer Fassade hoch und merkte, dass ich diese Karyatide noch nie bemerkt hatte. Man lebt falsch, wenn man drei Jahre eine Straße entlanggeht und nie hochgeschaut hat.“ (S.73)
Spontan denke ich an Goethe und dessen "Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre“ und meine eine Wahlverwandtschaft zu erkennen, die sich darin ausdrückt, dass beide eine erstaunliche Symbiose mit ihrem Werk eingegangen sind.
Ich fange erst gar nicht an, eine gewisse Anzahl von Einzelbeiträgen im Buch zu skizzieren und möchte auch keineswegs das lange Gespräch zwischen ihm und Insa Wilke analysieren und bewerten. Vielmehr möchte ich über Roger Willemsens Antworten nachdenken, beispielsweise auf die Frage "Ihr Publikum erlebt sie als extrovertiert. Inwieweit brauchen Sie Einsamkeit zum Schreiben?, um auf diese Weise die Bücher, die ich von ihm kenne, neu zu erfassen.
Ich studiere die Handschrift des umtriebigen Autors und finde die hohe Konzentration, die sich in seiner Schrift zeigt, sehr interessant.
Immer wieder habe ich Antworten von ihm mit dem Textmarker unterstrichen, auch jene auf die Frage "Sie ziehen Musil immer noch Thomas Mann vor?"
Hier schreibt Willemsen:
"Weil bei Thomas Mann die Vormacht des geglückten Satzes, des Sprechens für das Sprechen manchmal einen Selbstzweck bekommt, hinter dem die bürgerliche Erscheinung so sehr durchklingt, dass mir Musil als der radikalere Denker, schlankere Formulierer und auch ambitioniertere Nicht-Großschriftsteller sympathischer war.“
Schade, dass Marcel Reich-Ranicki nicht mehr lebt. Gerne hätte ich gewusst, was er bei der Buchbesprechung zu dieser Antwort gesagt hätte.
Natürlich ist es spannend, mehr über Willemsens Werke zu erfahren und hier auch wie dieser Autor den Begriff Kritik für sich interpretiert...
Ich breche hier ab, denn es führt zu weit, noch mehr über den umfangreichen Inhalt des Buches auszuplaudern.
Roger Willemsen wird heute 60 Jahre alt, wirkt optisch weitaus jünger, gleichwohl hinterlässt er den Eindruck (und zwar keineswegs erst dann, wenn man die Auflistung seiner Publikationen liest), dass er bereits 120 Jahre alt ist. Wie kann das sein?
Er denkt, spricht und schreibt einfach schneller als andere, offenbar weil er weiß "Wenn man heutzutage nicht flink ist, entgeht einem alles." (Zitat: John Galsworthy).
Roger Willemsen ist sehr flink, speziell wenn er denkt und deshalb auch können wir ganz gewiss die kommenden Jahre noch viel Neues von ihm lesen. Das freut uns.
Ein sehr empfehlenswertes Buch
Helga König