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Rezension: Beziehungskünstler- Wie kreative Paare die Liebe meistern- Barbara Bechtolsheim -Süddeutsche Zeitung Edition


Alain de Botton schreibt zu Beginn seines Vorworts: "Der Zauber des Buches von Barbara von Bechtolsheim liegt in der Frage begründet, die unsere Gesellschaft schon lange versäumt, hinreichend tiefgründig anzusprechen: Wozu ist die Liebe gut?"

Die Autorin ist mehr als zehn Jahre den Spuren deutscher und amerikanischer Künstler, Literaten und Musiker gefolgt. Sie hat deren Prosa und Gedichte gelesen, ist bis zu ihren Geburts- und Lebensorten gereist, hat Konzerte und Ausstellungen besucht. Sie tat es, um zu ermitteln, was man aus den Künstler-Paargeschichten, denn um solche geht es hier, lernen kann. 

Bei den Paaren handelt es sich um Künstlerehen aber auch Liebesbeziehungen, deren Austausch sich auf künstlerischer Ebene im jeweiligen Werk niederschlug. Allen Beziehungen gemeinsam – gleichgültig wie lange sie andauerten oder noch andauern, sind gute wie schwierige Seiten. 

Die Beziehungen, der hier erörterten Künstler, wirkten über die Verliebtheit hinaus, so Bechtholsheim und sie wirkten über einen gewissen Zeitraum bereichernd und beglückend. Die Kunstwerke, die daraus entstanden sind, stehen oftmals im selben Dialog zueinander wie ihre Schöpfer. 

Erläutert werden die Betrachtungen der Soziologen Niklas Luhmann und Eva Illous im Hinblick auf die Chancen und Risiken glücklicher Beziehungen, um dann festzuhalten, dass sich kreative Paare ganz essentiell in ihrem künstlerischen Schaffen begegnen. Wie die Autorin zeigt, kann man an autobiographischen Texten, aber auch an Kunstwerken nachspüren, wie Nähe und Distanz, Kreativität und Krisen, Zeitgeist und Beständigkeit in all ihren Polaritäten deutlich werden. 

Alle Beziehungen waren von Anfang an durch Hypersensibilität, auch durch depressive Veranlagung zumindest eines Partners geprägt. Die Autorin geht der Frage nach, wie die Rollen in diesen Beziehungen verteilt waren, auch wie die Partner jeweils ihr Erleben literarisch, künstlerisch und dokumentarisch zum Ausdruck brachten. Dann auch, wie sich kreative Arbeit und Liebe zueinander verhielten und welchen Einfluss die zeittypischen Geschlechterrollen hatten. Interessant ist die Frage, wie ein Paar als kreative Einheit funktionieren kann. Es geht um mehrere Aspekte: einerseit um die Beziehung zum eigenen Kunstwerk, welches die Künstleridentität zurückspiegelt und bestätigt, andererseits,  darum, dass sich der Schaffende in einer Komposition oder Erarbeitung einer Rolle erkennt und die verschiedenartigen Motive und Emotionen geordnet werden und helfen, den Zusammenhalt des Selbst zu bewahren. 

Wenn zwei Menschen, so die Autorin, mit ihrer Liebe einen geschützten emotionalen Raum schaffen, können in einer solchen Sicherheit die rationalen Kontrollmechanismen des gewöhnlichen Alltags zurücktreten und spontane oder mutige künstlerische Ideen entstehen. 

Anhand von  sehr analytischen Skizzierungen von 16 Paarbeziehungen kann man sich vergegenwärtigen, was Barbara von Bechtolsheim konkret meint. Man muss die Geschichten nicht chronologisch lesen. 

Ich begann mit der Skizzierung einer Paarbeziehung, die in die Rubrik "Dialog" eingeordnet ist. Es geht hierbei um die Beziehung von Ingeborg Bachmann & Paul Celan. Eingangs stellt Frau Bechtolsheim sehr gute Überlegungen zum Thema Dialog an. Sie konstatiert hier, dass es in Beziehungen mit der Zeit mehr Zuhören, mehr explizite Äußerungen benötigen, um im Kontakt zu bleiben. Das gelingt nicht immer, aber im Falle von Bachmann und Celan hat es geklappt. Eine übrigens tolle Beschreibung dieser  bemerkenswerten Beziehung. Überzeugen Sie sich selbst. 

Sehr gut gefallen hat mir auch die Beschreibung der Beziehung von Mascha Kaléko und Chemjo Vinaver in der Rubrik "Wir". Wunderbar ist das Gedicht "Ausgesetzt" aus den frühen Jahren der Beziehung, in der ihr gemeinsamer Weg bereits vorgezeichnet war.

Anregend ist natürlich in der Rubrik "Risiken und Nebenwirkungen" die Skizzierung der Beziehung  zwischen Marilyn Monroe und Arthur Miller. Man lernt deren gemeinsamen Horizont kennen und freut sich, dass sie ohne Rivalität und Neid sechs Jahre zusammenleben und produktiv arbeiten. konnten.

Sehr empfehlenswert 

Helga König  

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Rezension: Frauen 70 + - Cool - Rebellisch- Weise- Rita Kohlmaier- Elisabeth Sandmann Verlag



Die Journalistin #Rita_Kohlmeier ist die Autorin dieses bemerkenswerten Buches, zu dem die Schauspielerin Iris Berben ein Vorwort verfasst hat. Dort schreibt sie u.a. "Ich bin mit einer Minute vor 70 so, wie ich mit 18 und 20 war: Die Radikalität ist wieder zurück!" Für sie steht fest, dass viele Frauen gerade mit 70 plus so aktiv und kompromisslos sind wie nie zuvor und freut sich, dass sie nicht mehr verschwunden sind im Alter und Geschichten, wenn man 40 ist, nicht auserzählt sind.

20 weibliche Persönlichkeiten werden in diesem Buch vorgestellt, die älteste von ihnen ist 1927 geboren und die jüngste 1948. Bei den porträtierten Frauen handelt es sich um Sängerinnen, Schauspielerinnen, Fotografinen, Schriftstellerinnen, Politikerinnen, Juristinnen, aber auch um eine Modedesignerin und eine Philosophin, allesamt noch aktiv und voller Elan.

Bevor ich zu lesen begann, habe ich mir zunächst die Fotos der Damen im Buch lange angeschaut, um die Gesichter zu studieren. Dann habe ich mich entschieden, zunächst das Textporträt über #Herlinde_Koebl  (geb 1939) zu lesen, weil ich den Gesichtsausdruck dieser Frau super-sympathisch fand. Die engagierte Fotografin unternimmt vor allem aufwendige Studien, die sich über viele Jahre hinziehen können. Für ihren Bildzyklus "Spuren der Macht" hat sie seit 1991 einmal im Jahr mehrere Politiker fotografiert, um zu zeigen, wie Macht die Menschen äußerlich verändert und zwar den Blick, die Ausstrahlung und die Haltung.

Koelbl begann mit 37 Jahren ihren fotografischen Weg, wobei mit dem Alter ihre Themen zunehmend politischer wurden. So nahm sie sich 2017 der Flüchtlingskrise an und besuchte Camps in Italien, Griechenland und Deutschland. In den Lagern hat sie Hoffnung Resignation, auch Durchhaltewillen und den unbedingten Wunsch, sich auf neue Verhältnisse einzurichten, gesehen und sehr eindringlich in ihren Bildern visualisiert. Die Fotografin hat das Leben in ihren Facetten festgehalten und sie betrachtet, was sie tut, - übrigens gerade 80 Jahre geworden- , immer noch als Glück.

Bevor man weiterstöbert- man muss die Texte nicht chronologisch lesen-, sollte man sich aber in die Einleitung vertiefen. Hier erfährt man sogleich, dass es kein Buch über das Alter sei, sondern ein Buch über Frauen im sogenannten dritten Lebensakt.

Diese Frauen sind noch immer voller Neugierde, Freude, Witz und Optimismus, wobei auch ihr Leben gelegentlich  durch Zweifel, Niederlagen und Verluste getrübt sei. Haltung, Stil, wenn nötig auch Mut helfe ihnen, niemals aufzugeben, sich treu zu bleiben und einen graden Rücken zu behalten.

Faszinierend sind all die vorgestellten Frauen. Die Schauspielerin #Jane_Fonda (geb. 1937) ist seit Jahrzehnten in Bürgerrechtsbewegungen aktiv, unterstützt Black Panter und macht sich für Rechte der Indigenen in den USA stark. Gemeinsam mit Greenpeace kämpft sie für die Umwelt und ist bei Women´s March ganz vorn. Eine großartige Frau mit viel Power.

Gefreut habe ich mit, dass auch die Schriftstellerin #Annie_Ernaux (geb 1940) porträtiert wird, denn erst kürzlich habe ich zwei ihrer Bücher rezensiert.

#Vivienne_Westwood (geb. 1941), die bedeutendste Modedesignerin unserer Zeit und Aktivistin für ein Klima-Revolution, appelliert an die Vernunft, wenn sie sagt: "Kauft weniger, sucht gut aus, achtet darauf, dass es länger hält."

Dann ist da u.a. noch #Ruth_Bader_Ginsburg  (geb. 1933), die bekannteste Richterin der Welt, die als Einser- Studentin von dem Dekan in Harvard einst gefragt wurde: "Warum nehmen sie hier einem Mann den Platz weg?" Trotz aller Widrigkeiten hat sie ihren Weg gemacht.

Liest man die Porträts aufmerksam, stimmt man der Künstlerin Yoko Ono (ge. 1933) sofort zu, wenn sie sagt: "Manche Menschen sind mit 18 alt, andere sind mit 90 jung, Zeit ist ein von Menschen erschaffenes Konzept."

Sehr empfehlenswert

Helga König

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Rezension: Ausser man tut es- Politische Porträts der Zeitgeschichte-Heribert Prantl- Süddeutsche Zeitung Edition


#Heribert_Prantl, vormals Richter und Staatsanwalt, leitete 25 Jahre lang die Redaktion "Innenpolitik" bei der #Süddeutschen_Zeitung und baute dann das Ressort "Meinung" auf. Zehn Jahre war er Mitglied der Chefredaktion und ist seit 2019 Kolumnist und Autor der #SZ. Des Weiteren ist er Honorarprofessor an der juristischen Fakultät der Universität Bielefeld und Ehrendoktor der Theologie an der Universität Erlangen. Der Autor wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und hat viele bemerkenswerte Bücher verfasst. 

Im vorliegenden Werk stellt er über 60 namhafte Persönlichkeiten vor, die jeweils für eine Sache brannten und auf diese Weise die selbstverschuldete Gleichgültigkeit, die vielen Menschen innewohnt, überwunden haben. 

Untergliedert ist das Werk in: 
Utopisten und andere Realisten 
Mächtige und Mutige 
Aus Politik und Provinz 
Starke Frauen und ihre Widersacher 
Im Kraftwerk der Demokratie J
Juristen sind auch nur Menschen. Aber was für welche! 
Das Abenteuer des Denkens 

Wer schon etwas länger lebt, wird sich an die meisten der  bereits verstorbenen, hier in den Texten verewigten Persönlichkeiten erinnern. Allerdings werden auch namhafte Menschen aus dem Hier und Jetzt vorgestellt, allen voran #Greta_Thunberg. Hier bezieht Heribert Prantl zu Ende seines Textes so zutreffend Stellung: "Es geht um die Rettung des Visionären. Nicht wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen. Derjenige wird den Arzt brauchen, der Visionen nicht zulässt und sie bekämpft.“ 

Im Kapitel "Utopisten und andere Realisten“ findet man zudem ein fast dreiseitiges Porträt von #Klaus_Traube. Viele jüngere Leser werden seine Vita nicht mehr kennen. Er war einst Atommanager und später dann Kernkraftgegner und Umweltforscher. Mit seinem Namen ist der Abhör-Großskandal verbunden. Dass er der Vater der Energiewende wurde, spricht allein schon für ihn. 

#Helmut_Schmidt und auch #Richard_von_Weizsäcker entdeckt man im 2. Kapitel. Für die meisten Deutschen sei von Weizsäcker die geistig-moralische Erneuerung gewesen. Vielleicht auch deshalb, weil er ein Vorausdenker ohne Parteifesseln war. Gefallen hat mir das Porträt von Erhard Eppler, im gleichen Kapitel, weil er die Friedens- und Umweltbewegung mitgeprägt hat. Wie Heribert Prantl genau auf den Punkt gebracht formuliert: "Wenn erbarmungslose Habgier triumphiert, ist es gut für Gerechtigkeit einzutreten". Genau das hat Eppler in seinen Büchern und Texten getan.

Am 21.9.2018 schrieb Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung Magazin eine Liebeserklärung an seinen Vater, von dem er, wie er schreibt, gelernt hat, dass man nicht lange fragt, sondern zupackt, dass man sich etwas zutraut, auch zäh und ausdauernd sein muss und es nichts bringt, alles Mögliche anzufangen, wenn man nichts fertig macht. Heribert Prantl skizziert seinen Vater als einen Menschen, der in der Lage war,  in ihm innere Kraft für sein ganzes Leben zu säen. Dieses Glück hatten nicht viele Jungs seiner Generation. 

Wer noch? Zum Beispiel #Rita_Süßmuth, ohne sie hätte es vermutlich keine Kanzlerin #Angela_Merkel gegeben, vermutet Prantl. Ihr Ministerium sei eine Emanzipationszentrale gewesen. Sie propagierte u.a. eine liberale Abtreibungspolitik und rief 1987 die Aids-Stiftung ins Leben. 

Auch #Mathias_Greffrath wird porträtiert, der Schriftsteller und freie Journalist soll zu den profundesten Globalisierungskritikern gehören. Er sei ein Kritiker des Neoliberalismus in seinen globalen Resonanzen. Prantl lobt die geschliffene Eleganz, bei der man spüre, weshalb es heißt, dass das Wort eine Waffe sei. 

Wen an dieser Stelle noch erwähnen? Vielleicht stellvertretend für alle von mir hier nicht genannten Personen, den wirkmächtigsten Philosophen und Soziologen der Gegenwart? 

Wer das ist? 

#Jürgen_Habermas, ein großer Europäer, der einst Forschungsassistent bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno war. Seine Diskurs-und Kommunikationstheorie sei eine Philosophie der Entängstigung. Der Weltphilosoph sei grund- und menschenrechtsgeprägt. 

Was kann man sich in heutigen Zeiten mehr von einem politischen Menschen hierzulande erhoffen, als grund-und menschenrechtsgeprägt zu sein? 

Habermas warnt, wie man liest, vor einem "Gestaltwandel der Presse zu einem betreuenden Journalismus, der sich Arm in Arm mit der politischen Klasse um das Wohlbefinden der Kunden kümmert"- und so zu einer "postdemokratischen Einschläferung der Öffentlichkeit" beitrage. 

So gesehen ist #Heribert_Prantl  ein Vorbild, nicht zuletzt wegen seines unverbrüchlichen Mutes, seine Meinung zu bekunden und seine Leser immer schön wachzurütteln. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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