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Rezension: Matteo Thun Stories-Texte von Sherin Kneifl- Callwey


Auf der Rückseite dieses spannend zu lesenden Werks macht folgende Aussage von Matteo Thun neugierig auf das Buch: "Ich will keine Architekturbibel schreiben. Ich möchte Geschichten erzählen, was mich und meine Arbeit ausmacht."

Es sind übrigens 72 Geschichten, in denen der Südtiroler über seine Architektur, sein Design, seine Werte und Wahrheiten spricht. 

Thun leitet ein Architektur- und Designbüro, wo er sich als eine der einflussreichsten Stimmen und Talente seiner Generation (geb. 1952) etablieren konnte. Den kurzweiligen Texten von Sherin Kneifl, die im Plauderton daherkommen, sind private Fotos, Illustrationen und anderes Bildmaterial beigegeben. Hier liest man eingangs sogleich von dem sogenannten "Bozner Engel", der den Eltern Matteo Thuns zu Beginn der 1950er Jahre finanzielle Sicherheit brachte. 

Dass die Familie adelig ist, bedeutete keineswegs, dass sie die Füße hochlegen konnte. Gute Ideen und viel Fleiß führten dazu, dass seine Eltern und später auch er sich in der Branche einen Namen machten.

Seine Doktorarbeit hatte "Summa cum Laude" zum Ergebnis. Diesem Erfolg gesellten sich im Laufe seines Lebens eine Vielzahl weiterer hinzu, wobei der Zufall auch eine Rolle spielte, z.B. als er 1979 den Designer Ettore Sottas zufällig traf, dem er seinen ersten Auftrag für die Designfabrik Alessi verdankte und hier verschiedene Produkte zu entwerfen, die zu Ikonen wurden. In diesem Zusammenhang lernte Thun übrigens Ideenskizzen anzufertigen. 

Auf den Seiten 50/51 kann man seine Rara Avis Collection, Memphis 1981 bestaunen und liest dazu vorab Wissenswertes, auch, dass sie wenig später von renommierten Museen angekauft und als Modernariat ausgestellt wurde. 

Neben den beruflichen Highlights lernt man immer auch die Sportbegeisterung des Überfliegers kennen, der sich vieles zutraute und getraute in seinem bisherigen Leben. So erzählt er auch von seiner Zeit an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, 1983-2000, von seinen Begegnungen mit Karl Lagerfeld und mit Keith Haring, liest von bemerkenswerten Auftraggebern aber auch von den Objekten, die er für diese schuf, so etwa für Campari und hier von einem speziellen Shaker, der genauer beschrieben wird und den man auf einem Foto näher studieren kann.

Interessant auch finde ich die von Thun kreierte Espresso-Tasse für die Firma Illy, wovon es zwischenzeitlich 500 verschiedene Editionen gibt, Sammlerstücke aber auch das Synonym für den Brand. 

Weitere Erfolge machen Staunen und nachdenklich der Satz des Designers, der da lautet:"Man sieht wie aus Zufällen und dem Irrationalen etwas Großartiges entstehen kann."Fortune ist stets ein guter Anfang, was folgt, ist harte Arbeit und Können, wenn das Ergebnis Erfolg heißen soll.

Doch lesen Sie bitte selbst und staunen, was einen begabten und vielseitig kreativen Menschen ausmacht, so etwa auch die Tatsache, seit 2004 sich in Mailand primär zu Fuß oder per Klapprad zu bewegen wie 90% seiner Mitarbeiter dort und den Autos ade gesagt zu haben. 

Viel Bewegung, bewegt eben auch das kreative Hirn. Die Zeichen der Zeit zu erkennen, setzt ein aufgewecktes Hirn und einen klugen Verstand voraus.  

Matteo Thun hat seine Frau Susanne vor 42 Jahren kennengelernt. Abgebildet ist das Paar auf einem Foto mit ihren Mailänder Fahrrädern. Sehr aussagekräftig für die geistige Haltung, die mehr als nur sympathisch rüberkommt.

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Irans Töchter-Leyla Piedayesh, Stefanie von Wietersheim, Neda Rajabi- Callwey


Dieses Buch beginnt mit zwei Fotos, die poetische Facetten Persiens zeigen und an Hafis erinnern: Rosenblätter, ein altes Teppichmuster und eine Schale mit Granatäpfeln. All das ist lange her, weiß man. "Frau, Leben Freiheit!", darum geht es jetzt im Iran. 

Leyla Piedayesh, eine Modemacherin mit iranischen Wurzeln hat das Vorwort zum Buch verfasst. Die Einleitung stammt von Stefanie von Wietersheim, der es darum geht, mit diesem Buch anhand von Texten und Bildern aufzuzeigen, wie 19 Frauen mit iranischen Wurzeln hier in Deutschland ihren Weg gemacht haben und gerade auch deshalb dies für ihre unterdrückten Schwestern im Iran sehnlichst wünschen. Gemeinsam mit all diesen 19 Frauen erhebt sie ihre Stimme für die vielen unterdrückten Frauen im Iran im Sinne des kämpferischen Mottos "Frau, Leben, Freiheit", der feministischen Variante des französischen "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit".  

Alle Frauen im Buch verfolgten die Entwicklung in der Heimat ihrer Eltern "voller Schmerz, Spannung, aber auch mit Hoffnung." Dort kämpften Frauen aber auch Männer gegen Versklavung, Entrechtung, Folter, die Unterdrückung und Kontrolle von Frauen rund um den Globus. Sie kämpften nicht zuletzt gegen Auspeitschung, die Gleichstellung vor dem Gesetz, für Pressefreiheit und für die Rechte der LGTBQIA+-Community. 

Es handelt sich bei den Frauen um sehr gut ausgebildete Personen, deren Biographien man den letzten Seiten des Buches entnehmen kann. 

In den einzelnen Porträts zuvor geht es nicht nur um Familiengeschichten und Politik, sondern auch um Musik, Literatur, Bildende Kunst, Mode, köstliche Speisen, Farben, Gerüche, wie Frau von Wietersheim zusammenfasst und hinzufügend bemerkt, eben um Schöpfungen, die unserer Seele Nahrung geben, in hellen und in düsteren Zeiten. 

Ich habe das Buch nicht chronologisch gelesen, sondern mich beim ersten Blättern auf die Bilderwelt konzentriert, die meine Neugierde auf die eine oder andere Person dann besonders weckte und so am Ende der Lektüre mir die Frage gestellt, weshalb ich so vorgegangen bin. Waren es die Bilder oder die Berufe?

So begann ich mit dem Textstudium bei dem Interview der Photographin und Künstlerin Neda Rajabi. Sie hat alle Protagonistinnen im Buch abgelichtet. Die gebürtige Iranerin offenbart im Gespräch, was für sie als Fotografin bei dem Buch-Projekt wichtig gewesen sei, auch erzählt sie Familiäres, ihre Erfahrung mit Diskriminierung hierzulande, äußert sich aber auch zu persischen Teppichen und schließlich zu ihrer Einstellung zu "Sisterhood". 

Alle Frauen im Buch beeindrucken durch ihre Berufe, die im Iran vermutlich zum Teil für  Frauen undenkbar wären. So etwa der Beruf von Paramida, der Königin der Clubs, die weltweit am DJ-Pult Platten auflegt. Ihr Anspruch in ihrem Job besteht darin, einen persönlichen, weiblichen Vibe rüberbringen, auch wenn Techno als sehr Maskulin gelte. 

Überaus spannend zu lesen ist das Porträt der Journalistin, Moderatorin und Buchautorin Natalie Amri, die seit vielen Jahren bereits aus dem Mittleren Osten für das deutschsprachige Publikum berichtet. Die studierte Orientalistin arbeitete zunächst in Teheran an der Deutschen Botschaft und später bei der ARD. Vor kurzem hat sie in Kassel die Auszeichnung des "Glas der Vernunft" erhalten. Zu den Preisträgern zählen übrigens Hans-Dietrich Genscher und Pavel Kohout. In ihrer Rede habe sie über Mut und Angst gesprochen, Eigenschaften, die nach ihrer Meinung zu ihrem Beruf gehören. Amri wurde, wie sie schreibt, während ihrer Arbeit im Iran mehrfach bedroht und verhaftet, auch wurde ihr die Ausreise verwehrt. Darüber hinaus wurde sie in Eritrea von Schergen in ein Verließ gebracht. Das alles habe sie nur noch mutiger werden lassen. 

Die Schauspielerin und Sängerin Jasmin Tabatabai berichtet u.a., was sie politisiert hat und alle weiteren Protagonistinnen berichten eine ganze Menge Wissenswertes, was sie als freie Menschen auszeichnet, die diese Freiheit auch für ihre Schwestern im Iran möchten. Deutlich wird, dass  jede der Protagonistinnen  auf ihre Art einen Beitrag leistet. 

Alle Frauen verraten dazu noch ein iranisches Kochrezept, was der Emanzipation ja keinen Abbruch tut.

… und wenn die Architektin Apameh Schönauer den Satz "Frauen- Frauenfreundschaften sind" mit den Worten "für mich eine Bereicherung"  beendet,  sagt sie etwas ungemein Wichtiges, weil nur so Solidarität unter Frauen möglich ist. Diese Solidarität ist für die Iranerinnen derzeit das zentrale Mittel, um die feministische Revolution glücken zu lassen. Der Gegenwind ist alles andere als ein laues Lüftchen. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König


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Rezension: Mensch Prantl- Ein autobiographisches Kalendarium- Heribert Prantl- Langenmüller



Der im Sommer 1953 geborene Heribert Prantl war Richter und Staatsanwalt, bevor er 1988 politischer Kommentator und Leitartikler bei der Süddeutschen Zeitung wurde. 25 Jahre lang leitete er dort die Redaktion der Innenpolitik, baute das Ressort "Meinung" auf und war beinahe 10 Jahre hindurch Mitglied der Chefredaktion. Seit dem Frühling 2019 schreibt er als Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung. Darüber hinaus ist er Honorarprofessor an der juristischen Fakultät der Uni Bielefeld und Ehrendoktor der Theologie an der Uni Erlangen. Ausgezeichnet wurde er mit vielen Preisen, die man der Innenseite des Buchumschlags im Einzelnen entnehmen kann. 

Das hier vorliegende Buch bezeichnet er als "ein sehr persönliches und sehr politisches Werk, ein autobiographisches Kalendarium." Nach einem mehrseitigen Vorwort untergliedert Heribert Prantl sein Werk in 12 Kapitel, die er mit den Monaten des Jahresverlaufs assoziiert und hier mit persönlichen Erlebnissen, primär aber mit zentralen politischen Ereignissen, die ihm wichtig sind und sich vor oder während seines Lebens in besagten Monaten ereigneten und auf ihn gewirkt haben, ja vielleicht sogar zu dem Menschen machten, der er heute ist. Eine klassische Autobiographie empfindet er für sich zu peinlich. Ich vermute, weil er erfreulicherweise kein Narzisst ist.

Bei den 12 Themen geht es um Frieden, Demokratie, auch um Menschenwürde, Gleichberechtigung, Migration und Pressefreiheit. Die Analyse und die Diskussion, Abenteuer und Schnurren dieser Themen, so seine Worte, sind mit eigenen persönlichen Erlebnissen verwoben. Zu Beginn eines jeden Kapitels skizziert der Autor stets, worum es geht. Im Januar um den Frieden in unfriedlichen Zeiten, weil am ersten Januar in der römisch-katholischen Kirche der "Weltfriedenstag" gefeiert wird. 

Ich stimme Heribert Prantl zu, wenn er sagt "Es gibt nichts Wichtigeres als den Frieden; es ist hoffnungsvoll, wenn damit das Jahr beginnt. Die Welt braucht Hoffnung." In seinen Überlegungen zum Frieden erwähnt er u.a. den Philosophen Immanuel Kant und dessen Schrift "Zum ewigen Frieden". Dieser Tage twitterte ich übrigens anlässlich des Geburtstags von Goethe dessen Gedanken "Ich bin ein Kind des Friedens und will Friede halten für und für mit der ganzen Welt, da ich ihn einmal mit mir selbst geschlossen habe", und dachte dabei an Heribert Prantl, von dem diese Worte auch stammen könnten, weil bereits das erste Kapitel des Buches auch ihn als Kind des Friedens erkennen lässt. 

Hier schreibt er u.a. über Hass, der für ihn die schlimmste Kraft sei, weil er blind mache. Hass mache andere zu Objekten, die der Befriedigung des eigenen Hasses dienen müssen. Prantl ist der Überzeugung, dass Hass entmenschliche und zudem ansteckend sei, vor allem aber das Morden für eine tapfere Tat halte. Ein friedliebender Mensch hält Hass von sich fern. 

Der Autor weist darauf hin, dass unser Grundgesetz eine sehr friedliebende Verfassung ist, denn sie enthalte ein Friedensgebot, konkret die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Prantl denkt  in seinem Buch auch über Pazifisten nach und lässt nicht unerwähnt, dass sie trotz des Friedennobelpreises Außenseiter seien und schreibt weiter "aber so randständig wie heute angesichts der akuten Gefährlichkeit von Putins Brutal-Imperialismus waren sie schon lange nicht mehr." Genau so ist es, leider!

Der Jurist hält fest, dass Frieden keine Schmuckvokabel sei, sondern tragendes Prinzip der Verfassung, das als tragendes Prinzip jedoch noch nicht entwickelt worden sei und hier schwenkt der Autor wie immer mal wieder in seinem Buch in seine sehr persönlichen Erinnerungen um, erinnert an seine Großmutter, die wie andere aus seiner Familie und später dann in seiner "peer-group" ihn prägten, seiner inneren Haltung, seinem Denken und seinem Schreiben Vorschub leisteten. Zu dieser inneren Haltung zählt auch die Hoffnung, weil in ihr die Kraft zum Handeln stecke. Hoffnung, so Prantl, verweigere dem Unglück und Unheil den totalen Zugriff. Feinde entfeinden, jetzt und heute, darum geht es und aus der Vergangenheit zu lernen, dass dies möglich sei. 

Bereits das erste Kapitel begeisterte mich so sehr, dass ich die folgenden Abende neugierig weiterlas. Diese Art von Autobiografie kommt ohne Selbstdarstellung aus, nimmt sich immer wieder zurück und zeigt, dass man zu dem wird, der man ist, durch das, was man erlernt und durch andere entgegengenbracht bekommt, letztlich aber wie man dies verarbeitet. 

Immer wieder gibt es einen historischen Exkurs, so auch im 2. Kapitel, das sich mit den Wehen der Demokratie befasst, die Weimarer Republik fokussiert, zurückgeht bis zum Hambacher Fest von 1832 sich erneut in die Weimarer Republik bewegt, von Carl Legien berichtet, der gewissermaßen Urahn der DGB-Vorsitzenden von heute war und zu Beginn der 20er Jahre fürs Erste die junge Weimarer Demokratie rettete. Dann taucht Prantls Onkel Hans in den Reflektionen auf, der 1923 in München auf Hitler schoss als dieser mit anderen die parlamentarische Demokratie stürzen wollte. Auf einen solchen Onkel darf man stolz sein, auch wenn er Hitler nicht ins Jenseits befördert hat aber dies zumindest noch Jahre danach bedauert.

Schon im 3. Kapitel ahnt man, welch Geistes Kind der Autor ist, sofern man ihn noch nicht aus seinen vielen journalistischen Beiträgen kennen sollte. Gleichberechtigung ist ihm wichtig. Er erzählt von Frauen wie etwa Elisabeth Selbert, deren Namen heute kaum noch einer kennt, eine Juristin, der man einst den Kampf für die Frauenrechte nicht verziehen hatte. 

Prantl vergisst auch nicht seine Großmutter, Mutter von 15 Kindern, die trotz ihrer vielen Arbeit, sich Zeit nahm, zahllose Briefe in die USA zu verfassen, um nach ihrem vermissten Sohn zu suchen, einem Soldaten im 2. Weltkrieg. Die Recherchen seiner Großmutter seien sein Initiationserlebnis, der Beginn seiner journalistischen Interessen gewesen. Im Alter von 15 Jahren begann Prantl Artikel für drei Lokalzeitungen zu schreiben.

Der  Jurist ist und war ein Mann der Feder, ein Analytiker mit vielen intellektuellen Interessen, sich für viel Gutes stark machend, weltoffen, neugierig, seine Liebesbeziehungen nicht zu Markte tragend... Sehr sympathisch! 

Er schreibt in seinem Buch auch über seine Beziehung zur Religion und Kirche, verbindet dies mit Ostern, das er in den April positioniert. Der ehemalige Messdiener schreibt über Luther aber auch, dass er Weihrauch mag- noch immer, zudem die Rituale der Heiligen. Prantl sieht vieles, was mit der Kirche zusammenhängt, kritisch, aber er schätzt im Zusammenhang mit der Kirche Begriffe wie Barmherzigkeit, Seligkeit und Gnade, die überall in den Räumen der großen Stille Platz hätten. Er reflektiert in diesem Kapitel zudem den Begriff der Sünde. Sie ist für ihn all das, was Menschen entzweit und verfeindet, all das, was sie vom guten und sinnvollen Leben entfremdet. Was sie allerdings nicht sei, ist eine Moralformel. 

Es ist unmöglich alles im Rahmen der Rezension zu streifen, was Prantl in seinem Buch anführt. Beim Thema Menschenwürde oder der Migration erkennt man den tiefen Humanismus, von dem dieser Autor angetrieben ist, wenn er schreibt. Ich empfehle hier speziell die Seiten 136/137 "Eine Seite für jedes Schicksal", so kann nur ein Mensch schreiben, der mit Herzblut einen wahrhaftigen aufrüttelten Text verfassen möchte und dies auch kann. "Handeln wir, wie wir behandelt werden wollten, wenn wir Flüchtlinge wären.!" Prantl möchte nicht neutral sein, wenn es um Humanität geht und das ist gut so. Für ihn gehört zur Fluchtursachenbekämpfung eine restriktive Waffenpolitik und eine neue Handelspolitik. 

Dann schreibt er noch vom großen Widerstand in der Diktatur und dem kleinen in der Demokratie, seinen Erfahrungen mit unterschiedlichen Politikern sowie mit der Pressefreiheit. Für ihn gilt: "Ein Journalist braucht keine Partei, er braucht Haltung". Er selbst sieht seine Aufgabe als politischer Journalist darin, für die Grundrechte und Grundwerte einzutreten: "Respekt für Minderheiten, soziale Verantwortung, Gleichheit vor den Gesetz". Pressefreiheit ist für ihn eine empathische Freiheit, die aber keineswegs grenzenlos sei. 

Prantl schreibt auch über seine "Heimaten". Schön zu lesen, dass für ihn Heimat "Urvertrauen" sei, das, was Halt gebe. Sie bestehe nicht aus Blut und Boden, sondern sie sei das Bewusstsein, dass man seinen Platz, seine Aufgabe und seine Geschichte habe. Was er damit meint, kann man auf Seite 219ff nachlesen. Soviel nur. Ich stimme ihm zu. Gut wäre, wenn sich Lokalpolitiker seinen Gedanken anschließen und sie tatkräftig umsetzen würden, um der provinziellen Depression entgegenzuwirken. 

Es folgen die Herbstmonate, Prantls letzte Begegnung mit Helmut Kohl, Gedanken zur Deutschen Einheit und seine Überlegungen dazu, dass man damals das Grundgesetz hätte reformieren können. Trauertage im November... Was sie für Prantl bedeuten, kann man in seinem Buch nachlesen. Hier auch liest man über seine Erinnerungen an mit Rainer Barzel. Sehr nachdenkliche Seiten übrigens, die mich berührt haben. Nachdenklich auch seine Gedanken zum Tod und den Tränen und weshalb Trauer nicht nur eine Privatsache ist. 

Was noch? Für Prantl endet da Jahr damit, womit es begonnen hat mit einem Gedanken zum Thema Frieden, der in der Erkenntnis besteht, dass erst ein Perspektivwechsel Frieden ermöglicht. Hoffen wir also auf einen Perspektivwechsel noch in diesem Jahr!

Heribert  Prantl ist ein Kopfmensch, ein feinfühliger Analytiker mit einem großen Herzen, so mein Eindruck nach diesem spannend zu lesenden, lehrreichen Buch.

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Picassos Friseur- Monika Czernin, Melissa Müller- Diogenes

Die Autorinnen dieses spannend zu lesenden Buches sind Melissa Müller und Monika Czernin. Frau Müller, in Wien geboren, lebt heute als Schriftstellerin und Drehbuchautorin in München und hat bereits diverse Bestseller verfasst, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden sind. Monika Czernin, eine gebürtige Klagenfurterin, ist eine renommierte Filmemacherin und Autorin. Auch ihre Bücher sind Bestseller. Was noch? Die beiden Frauen haben bereits mehrere Dokumentarfilme gemeinsam realisiert. Das Vorwort zum Buch hat André Heller verfasst. 

Diese Doppelbiografie ist die Geschichte einer Freundschaft und zwar zwischen dem Ausnahmekünstler Pablo Picasso und Eugenio Arias, seinem Friseur.

Eugenio Arias hatte als Widerstandkämpfer im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft und nannte als ausgemachte Leseratte eine beachtliche Bibliothek sein Eigen. Gemeinsam war den beiden Freunden spanischer Herkunft die Liebe zum Stierkampf, die Liebe zur Freiheit und dem Frieden, für den beide sich - jeder auf seine Art- bewundernswert einbrachten. 

Man lernt Eugenio als warmherzigen, humorvollen, unbeirrbaren, unbestechlichen, gradlinigen Menschen voller Lebensfreude kennen, der genau deshalb eine Sonderstellung in Picassos Leben einnahm. Dieser liebte es, wenn sein Freundeskreis aus Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten bestand. Um seinen Tisch versammelten sich, so erfährt man, Intellektuelle, Künstler, Stierzüchter und Handwerker und dieser Personenkreis war auch um ihn herum beim Stierkampf.

Zu Eugenio verhielt Picasso sich generell anders, als zu seinen Frauen und sonstig engen Freunden, bei denen er nicht selten seinen Narzissmus auslebte und überaus verletzend sein konnte. 

Zwischen Arias und Pablo war Augenhöhe angesagt und dies hing damit zusammen, dass Eugenio seine Unabhängigkeit von Picasso schon früh durch sein selbstbewusstes Verhalten verdeutlichte. 

Ihr gemeinsames Interesse- der Stierkampf- ist eines der Hauptthemen des Buches, hier aber auch zu anderen Themen kann man immer wieder auch  Originaltexte- Erinnerungen Eugenios- lesen, die in die Texte der Autorinnen  geschickt eingeflochten sind und begreift  so die Freude der beiden an der Fiesta, die aus heutiger Sicht für Nicht-Spanier nicht nachvollziehbar ist. 

Man liest des Weiteren vom Spanischen Bürgerkrieg, der dazu führte, dass die Freunde ihr Heimatland verlassen mussten, wobei Picasso seinen "acte de résistance" von seinem sicheren Atelier aus führte, während Arias an vorderster Front kämpfte. Picasso begriff die "Kunst als Waffe des Angriffs und der Verteidigung gegen den Feind." Beide hatten sich unabhängig voneinander irgendwann zum Kommunismus bekannt, wobei ihre tiefe Bindung an die Heimat, ihre Sehnsucht nach einem demokratischen Spanien offenbar die unmittelbare Motivation gewesen sei, der Partei beizutreten. So wollten sie zeigen, dass sie sich gegen den Faschisten Franco positioniert hatten. 

Arias sei ein Sozialromantiker gewesen, dazu ein Alltagsphilosoph, der einem gedanklichen Gebilde fern jeglicher realsozialistischer Wirklichkeit anhing. Picassos Gedankengänge seien komplexer gewesen. Darüber liest man auch Wissenswertes. 

Spannend auch das Thema #Guernica. Am 26.4.1937 kostete der Angriff deutscher Flieger dort Hunderten von Menschen das Leben. Man erfährt mehr zu diesem Terroranschlag und zum "wichtigsten Bild der modernen Kunst". Zu diesem Zeitpunkt kämpfte Arias als Hauptmann in Aragonien gegen Franco. 

Seite für Seite liest man mehr über das, was beide zu dem machte, was sie später waren, liest von den vielen Spaniern, die in Frankreich Zuflucht suchten, aber auch von den 10 000 Spaniern die nach Mauthausen deportiert wurden. 

Man erfährt von der tiefen Mitmenschlichkeit und Großzügigkeit Picassos, der mit den materiellen Erfolgen seiner Arbeit nicht geizte und spanischen Migranten half, wo er nur konnte. Der gesellige Maler soll aus dem Wechselspiel zwischen Geselligkeit und Einsamkeit seine Kraft und Kreativität gezogen, dabei aber wenig Zeit an die Alltäglichkeiten des Lebens verschwendet haben. 

Spannend über die Unterschiede in der Lebenseinstellung der beiden Freunde zu lesen, auch was die Liebe anbelangte. 

Arias lernte von Picasso sehen, liest man und auch, dass er keine Picasso-Ausstellung versäumte. Was sehen lernen im Sinne von Picasso bedeutet, liest man in Erinnerungen von Arias auf Seite 197. 

Dass Eugenio Arias seinem Freund zu Ehren nach dessen Tod ein Museum gewidmet hat, zeigt die Tiefe dieser Freundschaft. 

Ein beeindruckendes Buch, das in die Welt der Kunst führt und begreifbar macht wie facettenreich diese aber die Menschen, die sie schaffen, sein können.  Vor allem zeigt es, dass Freundschaft in Seelenverwandtschaft begründet liegt und viel mit gegenseitigem  Respekt und Wertschätzung zu tun hat.

Maximal empfehlenswert. 

Helga König 

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Gekommen um zu bleiben- Kerstin Rubel- Callwey

 

Dieser bemerkenswerte Bildband mit Fotos von Ulrike Schacht und informativen Texten von Kerstin Rubel stellt 20 Unternehmerinnen und ihren Traum vom Leben auf dem Lande vor. 

Zunächst lernt man die gelernte Mode-Designerin Theres Glitz-Ehringhausen kennen, die mit ihrem Bruder in Westfalen eine Kornbrennerei übernahm. Dieser bäuerliche Familienbetrieb reicht bis ins Jahr 1237 zurück. Man erfährt, was die beiden unternommen haben, um zwischenzeitlich bis zu 20.000 Liter pro Jahr Kornbrand zu produzieren und mit feinen Edelprodukten aufzuwarten. Ihr Hauptgeschäft tätigen die beiden online, allerdings gibt er auch noch einen kleinen Hofladen, der an vier Tagen geöffnet hat und der wie das Unternehmen selbst, auf Fotos zu sehen ist. 

Spannend zu lesen sind die Infos zum Landleben der Architektin Kerstin Schulz, die gemeinsam mit ihrem Ehemann und Geschäftspartner ihr Wohn- und Bürohaus im Odenwald lokalisiert haben. Man liest, wie sie dort leben und arbeiten und in den Ort integriert sind, landaffine Interessen entwickelt haben und sich in Ortsvereinen engagieren. 

Vorgesellt wird u.a. auch eine Kräuterteegärtnerin Jessica Schönfeld in der Pfalz, die gemeinsam mit ihrem Mann Tee anbaut. Sie berichtet darüber, wie man eine Marktnische findet, eine Marke anbaut und erzählt auch Wissenswertes über ihr Vertriebssystem und so liest man sich durch unterschiedliche bemerkenswerte Viten von Unternehmerinnen, die auf dem Land ihr Paradies haben wahr werden lassen. 

Gefallen auch hat mir das Pilotprojekt von 25 Großstädtern, die testweise ins brandenburgische Wittenberge zogen. Unter ihnen Kata Oldziejewska, über die man Interessantes erfährt und die ihre Erfahrungswerte im Buch weitervermittelt. 

Die politische Journalistin Christiane Kohl, die vormals für den Spiegel und die Süddeutsche schrieb, ist heute Hoteldirektorin. Sie baute das Hotel gemeinsam mit ihrer Schwester auf und engagiert sich u.a. für den "Literarischen Frühling in der Heimat der Brüder Grimm". 

Man staunt über all die Aktivitäten der vorgestellten Damen und hat Gelegenheit mit Stephanie Lange- sie ist Coach für Existenzgründerinnen-, mehr über das WISSEN WIE zu erfahren. In einem weiteren Interview mit Christian Vieth- er ist Geschäftsführer der Stiftung Agrarkultur- erfährt man dann noch Wissenswertes über alte Höfe, die er an Existenzgründer vermittelt. 

Alles in allem ein inspirierendes Buch, das zeigt, dass Neuanfänge - weg von der Stadt- glücklich und zufrieden machen können. 

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Power- Inspirierende Frauen-Heide Christiansen- Ute Laatz- Callwey


Die Wohnexpertin Ute Laatz hat gemeinsam mit der Fotografin Heide Christiansen dieses reich bebilderte Buch kreiert, in welchem sie 21 Protagonistinnen vorstellen. Es handelt sich dabei um erfolgreiche, kreative Frauen, die intime Einblicke in ihren Alltag und ihr privates Umfeld gewährt haben und von ihrem beruflichen Werdegang berichten. 

Im Rahmen ihrer Homestories lernt man ihre Wirkstätten kennen. Dabei geht es darum, zu zeigen, dass sich das Wesen der einzelnen Personen in ihrer Art zu wohnen niederschlägt. Visualisiert werden textbegleitend tolle Fotos von der stets geschmackvollen Inneneinrichtung der Wirkstätten. 

Dabei zeigen sich die stilsicher gekleideten Protagonistinnen an den Orten des Geschehens. Stets gibt es Tipps und lebensphilosophische Betrachtungen der einzelnen Damen,  mitunter auch Adressen für Einrichtungsempfehlungen und nicht selten bleibt man an Sätzen hängen, die man sofort bejaht, weil man ihren Inhalt auf eigene Erfahrungen beziehen kann:

"Wenn die kreativen Ideen einmal ausbleiben, sollte man sich theoretische Aufgaben oder stattdessen erst einmal einer anderen Arbeit widmen. Meist kommt der Geistesblitz dann von ganz allein."

Hervorgeben möchte ich das Porträt der Farbdesignerin Anna von Mangold, die aufgrund ihrer Experimentierfreudigkeit mit Pinseln und Pigmenten, eine bemerkenswerte Geschäftsidee entwickelte und zwischenzeitlich einem florierenden Unternehmen vorsteht. Eine Frau, mit viel Power und Kreativität!

Junge und nicht mehr ganz so junge Powerfrauen zeigen wie Power Früchte trägt und verdeutlichen, dass die Räume, wo man wohnt und arbeitet, viel über sie selbst aussagen. 

Wie definiert man sich? Wie will man gesehen werden? Wie sieht man sich selbst? Was zeigen diese Selbstbespiegelungen?  Und was bedeutet Power für die einzelnen Damen? 

Jede definiert es ein bisschen anders. Besonders gut gefallen hat mir die Definition der Textildesignerin Stephanie Kahnau. Für sie ist Power ein Synonym für "machen", Träume wahr werden zu lassen und alles dafür zu geben. 

Ein lesenswertes Buch mit spannend zu lesenden biographische Miniaturen und viel Inspiration für Raum- und Lebensgestaltung. 

 Maximal empfehlenswert 

Helga König 

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Rezension: Große Philosophinnen- Wie ihr denken die Welt prägte-10 Portraits- Armin Strohmeyer-Piper


Wie Dr. Armin Strohmeyer in seiner Vorbemerkung bereits betont, möchte das vorliegende Buch keine Geschichte der Philosophie sein, sondern eine Portraitsammlung philosophierender Frauen. Dabei definiert der Autor im Anschluss dann gleich, was er unter Philosophie versteht: Die Liebe zur Weisheit, zum Denken, wobei am Beginn des Denkens das Staunen stehe. 

Damit steht Strohmeyer in der Tradition von Aristoteles und Platon. Philosophisches Staunen habe zur Folge, dass Dinge hinterfragt werden. Hierdurch entstehe Wissen im Streben um Erhellung, die Aufklärung der Zusammenhänge und damit auch die Wissenschaft. Die Erhellung der bloßen Meinungen, der Vorurteile und Klischees, habe einem Zeitalter den Namen gegeben: Die Aufklärung.

Frauen tauchten in der Philosophie- bis auf wenige Ausnahmen- erst sehr spät auf. Erst seit der Scholastik des Hochmittelalters habe sich dies geändert. Das Philosophieren der Frauen sei ein Akt der Selbstbefreiung, der Emanzipation gewesen wie die Beispiele im Buch deutlich machen. 

Brillant porträtiert werden von Dr. Strohmeyer nachstehende Persönlichkeiten: Héloise (1099-1164), Hildegard von Bingen (1098-1179), Christine de Pizan (um 1364-1430), Émilie de Châtelet (1706-1749), Ricarda Huch (1864-1947), Edith Stein (1891-1942), Simone Weil (1909-1943), Hannah Arendt (1906-1975), Simone de Beauvoir (1908-1986), Jeanne Hersch (1910-2000). 

Den Porträts jeweils vorangestellt sind kurze Skizzierungen der jeweiligen Denkschule, in der die einzelnen Damen ihre geistige Entwicklung vollzogen. Hier geht es um die Grundfragen, die man sich jeweils stellte, beispielsweise während der Scholastik, wo man erstmals den Einsatz der (von Gott gegebenen) Erkenntnisfähigkeit des Menschen mit Mitteln der Vernunft (Ratio), des Zweifels und der Skepsis wagte.

Allen Frauen gemeinsam ist ein beeindruckendes Selbstbewusstsein, hohe Bildung, gepaart mit einem herausragenden Verstand, der sich eigenständiges Denken erlaubte, selbst wenn ihre männlichen Pendants Abalaerd, Voltaire, Heidegger oder Sartre hießen. 

Es lohnt, sich mit den Schriften der einzelnen Philosophinnen näher zu befassen. Das vorliegende Buch macht neugierig auf die entsprechenden Texte. Weshalb nicht mit Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht" beginnen? Vielleicht ist ja genau dieses Werk der Schlüssel dazu, um zu verstehen, weshalb es so wenige namhafte Philosophinnen im Laufe der letzten Jahrhunderte gab. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Beziehungskünstler- Wie kreative Paare die Liebe meistern- Barbara Bechtolsheim -Süddeutsche Zeitung Edition


Alain de Botton schreibt zu Beginn seines Vorworts: "Der Zauber des Buches von Barbara von Bechtolsheim liegt in der Frage begründet, die unsere Gesellschaft schon lange versäumt, hinreichend tiefgründig anzusprechen: Wozu ist die Liebe gut?"

Die Autorin ist mehr als zehn Jahre den Spuren deutscher und amerikanischer Künstler, Literaten und Musiker gefolgt. Sie hat deren Prosa und Gedichte gelesen, ist bis zu ihren Geburts- und Lebensorten gereist, hat Konzerte und Ausstellungen besucht. Sie tat es, um zu ermitteln, was man aus den Künstler-Paargeschichten, denn um solche geht es hier, lernen kann. 

Bei den Paaren handelt es sich um Künstlerehen aber auch Liebesbeziehungen, deren Austausch sich auf künstlerischer Ebene im jeweiligen Werk niederschlug. Allen Beziehungen gemeinsam – gleichgültig wie lange sie andauerten oder noch andauern, sind gute wie schwierige Seiten. 

Die Beziehungen, der hier erörterten Künstler, wirkten über die Verliebtheit hinaus, so Bechtholsheim und sie wirkten über einen gewissen Zeitraum bereichernd und beglückend. Die Kunstwerke, die daraus entstanden sind, stehen oftmals im selben Dialog zueinander wie ihre Schöpfer. 

Erläutert werden die Betrachtungen der Soziologen Niklas Luhmann und Eva Illous im Hinblick auf die Chancen und Risiken glücklicher Beziehungen, um dann festzuhalten, dass sich kreative Paare ganz essentiell in ihrem künstlerischen Schaffen begegnen. Wie die Autorin zeigt, kann man an autobiographischen Texten, aber auch an Kunstwerken nachspüren, wie Nähe und Distanz, Kreativität und Krisen, Zeitgeist und Beständigkeit in all ihren Polaritäten deutlich werden. 

Alle Beziehungen waren von Anfang an durch Hypersensibilität, auch durch depressive Veranlagung zumindest eines Partners geprägt. Die Autorin geht der Frage nach, wie die Rollen in diesen Beziehungen verteilt waren, auch wie die Partner jeweils ihr Erleben literarisch, künstlerisch und dokumentarisch zum Ausdruck brachten. Dann auch, wie sich kreative Arbeit und Liebe zueinander verhielten und welchen Einfluss die zeittypischen Geschlechterrollen hatten. Interessant ist die Frage, wie ein Paar als kreative Einheit funktionieren kann. Es geht um mehrere Aspekte: einerseit um die Beziehung zum eigenen Kunstwerk, welches die Künstleridentität zurückspiegelt und bestätigt, andererseits,  darum, dass sich der Schaffende in einer Komposition oder Erarbeitung einer Rolle erkennt und die verschiedenartigen Motive und Emotionen geordnet werden und helfen, den Zusammenhalt des Selbst zu bewahren. 

Wenn zwei Menschen, so die Autorin, mit ihrer Liebe einen geschützten emotionalen Raum schaffen, können in einer solchen Sicherheit die rationalen Kontrollmechanismen des gewöhnlichen Alltags zurücktreten und spontane oder mutige künstlerische Ideen entstehen. 

Anhand von  sehr analytischen Skizzierungen von 16 Paarbeziehungen kann man sich vergegenwärtigen, was Barbara von Bechtolsheim konkret meint. Man muss die Geschichten nicht chronologisch lesen. 

Ich begann mit der Skizzierung einer Paarbeziehung, die in die Rubrik "Dialog" eingeordnet ist. Es geht hierbei um die Beziehung von Ingeborg Bachmann & Paul Celan. Eingangs stellt Frau Bechtolsheim sehr gute Überlegungen zum Thema Dialog an. Sie konstatiert hier, dass es in Beziehungen mit der Zeit mehr Zuhören, mehr explizite Äußerungen benötigen, um im Kontakt zu bleiben. Das gelingt nicht immer, aber im Falle von Bachmann und Celan hat es geklappt. Eine übrigens tolle Beschreibung dieser  bemerkenswerten Beziehung. Überzeugen Sie sich selbst. 

Sehr gut gefallen hat mir auch die Beschreibung der Beziehung von Mascha Kaléko und Chemjo Vinaver in der Rubrik "Wir". Wunderbar ist das Gedicht "Ausgesetzt" aus den frühen Jahren der Beziehung, in der ihr gemeinsamer Weg bereits vorgezeichnet war.

Anregend ist natürlich in der Rubrik "Risiken und Nebenwirkungen" die Skizzierung der Beziehung  zwischen Marilyn Monroe und Arthur Miller. Man lernt deren gemeinsamen Horizont kennen und freut sich, dass sie ohne Rivalität und Neid sechs Jahre zusammenleben und produktiv arbeiten. konnten.

Sehr empfehlenswert 

Helga König  

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Rezension: Frauen 70 + - Cool - Rebellisch- Weise- Rita Kohlmaier- Elisabeth Sandmann Verlag



Die Journalistin #Rita_Kohlmeier ist die Autorin dieses bemerkenswerten Buches, zu dem die Schauspielerin Iris Berben ein Vorwort verfasst hat. Dort schreibt sie u.a. "Ich bin mit einer Minute vor 70 so, wie ich mit 18 und 20 war: Die Radikalität ist wieder zurück!" Für sie steht fest, dass viele Frauen gerade mit 70 plus so aktiv und kompromisslos sind wie nie zuvor und freut sich, dass sie nicht mehr verschwunden sind im Alter und Geschichten, wenn man 40 ist, nicht auserzählt sind.

20 weibliche Persönlichkeiten werden in diesem Buch vorgestellt, die älteste von ihnen ist 1927 geboren und die jüngste 1948. Bei den porträtierten Frauen handelt es sich um Sängerinnen, Schauspielerinnen, Fotografinen, Schriftstellerinnen, Politikerinnen, Juristinnen, aber auch um eine Modedesignerin und eine Philosophin, allesamt noch aktiv und voller Elan.

Bevor ich zu lesen begann, habe ich mir zunächst die Fotos der Damen im Buch lange angeschaut, um die Gesichter zu studieren. Dann habe ich mich entschieden, zunächst das Textporträt über #Herlinde_Koebl  (geb 1939) zu lesen, weil ich den Gesichtsausdruck dieser Frau super-sympathisch fand. Die engagierte Fotografin unternimmt vor allem aufwendige Studien, die sich über viele Jahre hinziehen können. Für ihren Bildzyklus "Spuren der Macht" hat sie seit 1991 einmal im Jahr mehrere Politiker fotografiert, um zu zeigen, wie Macht die Menschen äußerlich verändert und zwar den Blick, die Ausstrahlung und die Haltung.

Koelbl begann mit 37 Jahren ihren fotografischen Weg, wobei mit dem Alter ihre Themen zunehmend politischer wurden. So nahm sie sich 2017 der Flüchtlingskrise an und besuchte Camps in Italien, Griechenland und Deutschland. In den Lagern hat sie Hoffnung Resignation, auch Durchhaltewillen und den unbedingten Wunsch, sich auf neue Verhältnisse einzurichten, gesehen und sehr eindringlich in ihren Bildern visualisiert. Die Fotografin hat das Leben in ihren Facetten festgehalten und sie betrachtet, was sie tut, - übrigens gerade 80 Jahre geworden- , immer noch als Glück.

Bevor man weiterstöbert- man muss die Texte nicht chronologisch lesen-, sollte man sich aber in die Einleitung vertiefen. Hier erfährt man sogleich, dass es kein Buch über das Alter sei, sondern ein Buch über Frauen im sogenannten dritten Lebensakt.

Diese Frauen sind noch immer voller Neugierde, Freude, Witz und Optimismus, wobei auch ihr Leben gelegentlich  durch Zweifel, Niederlagen und Verluste getrübt sei. Haltung, Stil, wenn nötig auch Mut helfe ihnen, niemals aufzugeben, sich treu zu bleiben und einen graden Rücken zu behalten.

Faszinierend sind all die vorgestellten Frauen. Die Schauspielerin #Jane_Fonda (geb. 1937) ist seit Jahrzehnten in Bürgerrechtsbewegungen aktiv, unterstützt Black Panter und macht sich für Rechte der Indigenen in den USA stark. Gemeinsam mit Greenpeace kämpft sie für die Umwelt und ist bei Women´s March ganz vorn. Eine großartige Frau mit viel Power.

Gefreut habe ich mit, dass auch die Schriftstellerin #Annie_Ernaux (geb 1940) porträtiert wird, denn erst kürzlich habe ich zwei ihrer Bücher rezensiert.

#Vivienne_Westwood (geb. 1941), die bedeutendste Modedesignerin unserer Zeit und Aktivistin für ein Klima-Revolution, appelliert an die Vernunft, wenn sie sagt: "Kauft weniger, sucht gut aus, achtet darauf, dass es länger hält."

Dann ist da u.a. noch #Ruth_Bader_Ginsburg  (geb. 1933), die bekannteste Richterin der Welt, die als Einser- Studentin von dem Dekan in Harvard einst gefragt wurde: "Warum nehmen sie hier einem Mann den Platz weg?" Trotz aller Widrigkeiten hat sie ihren Weg gemacht.

Liest man die Porträts aufmerksam, stimmt man der Künstlerin Yoko Ono (ge. 1933) sofort zu, wenn sie sagt: "Manche Menschen sind mit 18 alt, andere sind mit 90 jung, Zeit ist ein von Menschen erschaffenes Konzept."

Sehr empfehlenswert

Helga König

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Rezension: Ausser man tut es- Politische Porträts der Zeitgeschichte-Heribert Prantl- Süddeutsche Zeitung Edition


#Heribert_Prantl, vormals Richter und Staatsanwalt, leitete 25 Jahre lang die Redaktion "Innenpolitik" bei der #Süddeutschen_Zeitung und baute dann das Ressort "Meinung" auf. Zehn Jahre war er Mitglied der Chefredaktion und ist seit 2019 Kolumnist und Autor der #SZ. Des Weiteren ist er Honorarprofessor an der juristischen Fakultät der Universität Bielefeld und Ehrendoktor der Theologie an der Universität Erlangen. Der Autor wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und hat viele bemerkenswerte Bücher verfasst. 

Im vorliegenden Werk stellt er über 60 namhafte Persönlichkeiten vor, die jeweils für eine Sache brannten und auf diese Weise die selbstverschuldete Gleichgültigkeit, die vielen Menschen innewohnt, überwunden haben. 

Untergliedert ist das Werk in: 
Utopisten und andere Realisten 
Mächtige und Mutige 
Aus Politik und Provinz 
Starke Frauen und ihre Widersacher 
Im Kraftwerk der Demokratie J
Juristen sind auch nur Menschen. Aber was für welche! 
Das Abenteuer des Denkens 

Wer schon etwas länger lebt, wird sich an die meisten der  bereits verstorbenen, hier in den Texten verewigten Persönlichkeiten erinnern. Allerdings werden auch namhafte Menschen aus dem Hier und Jetzt vorgestellt, allen voran #Greta_Thunberg. Hier bezieht Heribert Prantl zu Ende seines Textes so zutreffend Stellung: "Es geht um die Rettung des Visionären. Nicht wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen. Derjenige wird den Arzt brauchen, der Visionen nicht zulässt und sie bekämpft.“ 

Im Kapitel "Utopisten und andere Realisten“ findet man zudem ein fast dreiseitiges Porträt von #Klaus_Traube. Viele jüngere Leser werden seine Vita nicht mehr kennen. Er war einst Atommanager und später dann Kernkraftgegner und Umweltforscher. Mit seinem Namen ist der Abhör-Großskandal verbunden. Dass er der Vater der Energiewende wurde, spricht allein schon für ihn. 

#Helmut_Schmidt und auch #Richard_von_Weizsäcker entdeckt man im 2. Kapitel. Für die meisten Deutschen sei von Weizsäcker die geistig-moralische Erneuerung gewesen. Vielleicht auch deshalb, weil er ein Vorausdenker ohne Parteifesseln war. Gefallen hat mir das Porträt von Erhard Eppler, im gleichen Kapitel, weil er die Friedens- und Umweltbewegung mitgeprägt hat. Wie Heribert Prantl genau auf den Punkt gebracht formuliert: "Wenn erbarmungslose Habgier triumphiert, ist es gut für Gerechtigkeit einzutreten". Genau das hat Eppler in seinen Büchern und Texten getan.

Am 21.9.2018 schrieb Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung Magazin eine Liebeserklärung an seinen Vater, von dem er, wie er schreibt, gelernt hat, dass man nicht lange fragt, sondern zupackt, dass man sich etwas zutraut, auch zäh und ausdauernd sein muss und es nichts bringt, alles Mögliche anzufangen, wenn man nichts fertig macht. Heribert Prantl skizziert seinen Vater als einen Menschen, der in der Lage war,  in ihm innere Kraft für sein ganzes Leben zu säen. Dieses Glück hatten nicht viele Jungs seiner Generation. 

Wer noch? Zum Beispiel #Rita_Süßmuth, ohne sie hätte es vermutlich keine Kanzlerin #Angela_Merkel gegeben, vermutet Prantl. Ihr Ministerium sei eine Emanzipationszentrale gewesen. Sie propagierte u.a. eine liberale Abtreibungspolitik und rief 1987 die Aids-Stiftung ins Leben. 

Auch #Mathias_Greffrath wird porträtiert, der Schriftsteller und freie Journalist soll zu den profundesten Globalisierungskritikern gehören. Er sei ein Kritiker des Neoliberalismus in seinen globalen Resonanzen. Prantl lobt die geschliffene Eleganz, bei der man spüre, weshalb es heißt, dass das Wort eine Waffe sei. 

Wen an dieser Stelle noch erwähnen? Vielleicht stellvertretend für alle von mir hier nicht genannten Personen, den wirkmächtigsten Philosophen und Soziologen der Gegenwart? 

Wer das ist? 

#Jürgen_Habermas, ein großer Europäer, der einst Forschungsassistent bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno war. Seine Diskurs-und Kommunikationstheorie sei eine Philosophie der Entängstigung. Der Weltphilosoph sei grund- und menschenrechtsgeprägt. 

Was kann man sich in heutigen Zeiten mehr von einem politischen Menschen hierzulande erhoffen, als grund-und menschenrechtsgeprägt zu sein? 

Habermas warnt, wie man liest, vor einem "Gestaltwandel der Presse zu einem betreuenden Journalismus, der sich Arm in Arm mit der politischen Klasse um das Wohlbefinden der Kunden kümmert"- und so zu einer "postdemokratischen Einschläferung der Öffentlichkeit" beitrage. 

So gesehen ist #Heribert_Prantl  ein Vorbild, nicht zuletzt wegen seines unverbrüchlichen Mutes, seine Meinung zu bekunden und seine Leser immer schön wachzurütteln. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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