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Rezension: Alles, was ich in der Welt verlange. Das Leben der Johanna Schopenhauer

Schauplätze dieses Buches sind in erster Linie Danzig, Hamburg, Weimar und Bonn. Dort nämlich hat Johanna Schopenhauer gelebt. Diese Frau war eine Zeitgenossin Goethes. Der von ihr verehrte Dichterfürst gehörte dem engeren Kreis der hochkarätigen Gäste ihres weltberühmten Salons an.

Wer war diese, von so vielen klugen Personen geschätzte Dame? Carola Stern spürt der Frage nach und malt ein farbintensives Bild von ihrer Protagonistin, welches so nur entstehen konnte, weil die Autorin sich eingehend mit Fakten und Anekdoten zur beschriebenen Person auseinandergesetzt hat.


Ihrem doppelt so alten Ehemann gegenüber, den die wissbegierige Johanna mit achtzehn Jahren aus Vernunftsgründen heiratet, fühlt sie sich durch die Liebe zur Kunst und Literatur, sowie durch die Neigung gegenüber den Idealen der französischen Revolution verbunden. Der sehr begüterte Großkaufmann bereist gemeinsam mit seiner jungen Gemahlin viele Städte Europas, um seine Handelsgeschäfte vor Ort erfolgreich zu betreiben und sich kulturhistorisch zu bilden.
Wir erfahren von Stern, dass Johanna Schopenhauer, während dieser Reisen nie am üblichen Damenprogramm teilnimmt, sondern aufgeschlossen, an der Seite ihres Mannes neue technische Errungenschaften kennenzulernen sucht. Dennoch bewegt sich ihr inneres Verhältnis zu Heinrich Floris Schopenhauer auf dem "schwierigen Grat zwischen Resignation und Eigensinn." ( Was dies bedeutet, führt die Autorin im Einzelnen näher aus). Das Verhältnis zu ihren beiden Kindern Adele und dem späteren Philosophen Arthur ist, wie Stern berichtet, unterkühlt.


Johannas Gatte, der in Hamburg Selbstmord begeht, macht sie zunächst zur reichen Witwe, die sich in der Folge alsbald ein freies, großzügiges Leben gestattet. Die Vierzigjährige mietet im "Athen des Nordens", in Weimar also, nicht weit von Goethes Wohnhaus entfernt, eine standesgemäße Wohnung an und beginnt ihr neues Leben. Sie gewinnt Freunde, wie etwa den Gelehrten Fernow, den Schriftsteller von Gerstenbergk und schließlich den Theaterleiter Carl von Holtei. Christiane, die vielgeschmähte Gattin Goethes wird von ihr zum Tee gebeten. Durch diese Geste erwirbt sich Madame Schopenhauer das Wohlwollen des großen Dichters, als dessen kritiklose Verehrerin sie sich zeitlebens zeigt. Johanna beginnt zu schreiben, Romane, kunsthistorische Werke, Reiseberichte. Sie wird zur vielgelesenen und bekanntesten Schriftstellerin ihrer Zeit. Mittels Schreiben finanziert sie schließlich ihr Leben und das Leben ihrer Tochter, nachdem sie durch Misswirtschaft des Danziger Bankhauses Muhl nahezu ihr gesamtes Vermögen verloren hat. Zu diesem Zeitpunkt hat die resolute Mutter den Kontakt zu Sohn Arthur, dem galligen Frauenfeind, bereits abgebrochen.


Nicht zuletzt aufgrund der allgemeinen Teuerung zieht sich Johanna, wenige Jahre vor Goethes Tod, nach Unkel am Rhein und später nach Bonn zurück, wo sie fortwährend bemüht ist, ihrem Verleger Brockhaus Vorschüsse für noch nicht geleistete Arbeit zu entlocken. Die Autorin verweist auf Johannas "erstaunlichen Geschäftssinn", der sich "besonders im Umgang mit Verlegern" äußert. Aber "Madame Schopenhauer kann nicht haushalten, nicht von ihren Ambitionen lassen, sich nicht eingestehen, dass sie dabei ist, arm zu werden, und stürzt sich und ihre Tochter in immer höhere Schulden". Am Ende ihres Lebens lässt sich Johanna Schopenhauer in Jena nieder. Weimars Großherzog Karl-Friedrich gewährt der alten Dame, nach entsprechenden Bittgesuchen, eine Pension, die es der einst wohlhabenden Kaufmannstochter erlaubt, einigermaßen standesgemäß ihre letzten Jahre zu verleben....


Ein hervorragendes Buch, das nicht nur die Zeit der Weimarer Klassik wieder aufleben lässt, sondern auch Einblicke gibt in das Kaufmannsleben der alten Hansestädte Danzig und Hamburg, unmittelbar vor der Industrialisierung. Johanna Schopenhauer kannte viele bedeutende Zeitgenossen, war allem Kulturellen und Intellektuellen gegenüber äußerst aufgeschlossen. Fremd blieben ihr einzig ihr Sohn und dessen Philosophie. Arthur Schopenhauer hat sich allerdings auch alle Mühe gegeben, das Verhältnis zu seiner Mutter denkbar negativ zu gestalten und ihr den Zugang zu ihm und seinem Denken zu versperren!


Letzte Anmerkung: Die allen Kapiteln des Buches vorangestellten Scherenschnitte visualisieren auf subtile Weise die Welt der Empfindungen in jener Zeit!


Im Buchhandel erhältlich.

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