Erster Traum: "Im Traum liebe ich Ursula Andress in einem Einbaum. Zu beiden Seiten schwimmen die Elendsbauten eines südamerikanischen Dschungels vorbei.  Zwischen den Hütten hat sich  eine johlende Menge von Zuschauern versammelt, die uns anfeuert. Aber mir ist auf Ursula alles Gesicht und Becken und Bäume. Zwischendurch führt sie immer wieder geschäftliche Unterredungen am Telefon, macht aber weiter. Deshalb nehme ich trotzig ein Buch heraus und lese demonstrativ. Aus den Buchseiten aber quellen immer mehr Köpfe von Leuten, die rufen: Gut gemacht! Weiter so! Nicht nachlassen! Ich muss das Buch zuklappen und öffne die Augen im selben Augenblick, “ (S.123/124). 
Zweiter Traum: "Im Rausch war ich neulich zwei: ich und meine Frau. Ich legte den Kopf auf den                                    Busen meiner Frau und sagte mir selbst, dass das angenehm sei. Später tötete ich Michel Foucault und fand beides gleich furchtbar: das ich ihn getötet hatte und das er tot war. Dann legte ich mich hin und träumte zweimal, ich sei in Gesellschaft mit nichts als einer Unterhose. Im Traum erschien mir das lässig.  Erst an den Blicken der Gäste erkannte ich: war es nicht. Als ich den Traum zum zweiten Mal träumte, sah ich an mir herunter und dachte: Nicht schon wieder,"(S. 150) 
Ich möchte diese beiden Träume des Autors meiner Rezension bewusst voranstellen, weil sie sehr viel über ihn aussagen.  Der Intellektuelle, der  auf  seinen vielen Reisen weltweit  zahllose  Eindrücke  und Erfahrungen sammelte, beobachtet die Welt unvoreingenommen,  lässt sie auf sich unbefangen  in  ihrer  Gesamtheit wirken, schreibt Momente, die ihm spontan  in den Sinn kommen,  nieder, ohne sich dabei vollständig zu entblößen.  Er sieht und hört überall auf dieser Welt  genau zu, ist achtsam und es bohren sich Sätze in seinen Kopf wie  etwa jener: „Heute werde ich dich mit Gier genießen“ (S.135). Diese Sätze vergisst er nicht. Natürlich frage ich mich im Stillen, ob er den Satz in seinen Andress-Traum  einst eingebunden hatte und uns  Lesern ihn nun unterschlägt, aus den Gründen, die wir  seinem  zweiten Traum  entnehmen können. 
Roger Willemsen  macht in diesem Buch Spaziergänge durch seinen Kopf und lässt uns daran teilhaben. Eine Fülle kleiner Momentaufnahmen reiht er aneinander, ohne dass dabei wirklich klar wird, zu welchem Zeitpunkt er dies oder jenes erlebt hat. Dichtung und Wahrheit  stehen eng beieinander, wie stets bei Erinnerungen.  All diese Momente  führen ein  quirliges Eigenleben in seinem Kopf, haben aus ihm den Mann gemacht, der er heute ist: viel jünger als die meisten seiner Altersgenossen, viel  heiterer, weitaus kommunikativer.  Das Kind in ihm ist nicht gestorben, das macht ihn so ungemein sympathisch.  Sein Buch  ist ein Beweis dafür, dass Weltoffenheit und Neugierde  noch immer die Quellen des  Jungbleibens  für uns sein können. Das müssen wir uns alle bewusst machen. 
Der Geschichtenerzähler  schreibt über seine Eindrücke, die er fast überall auf dieser Welt gesammelt hat, beschreibt die Bilder, die sich in  seinen Kopf  eingebrannt haben,  betreibt Kunstbetrachtungen, schreibt  über unzählige  Orte und Menschen, die er dort überall  traf,  skizziert Dialoge, streift diskret seine Beziehungen, schreibt über all das, was  ihn  erkennbar für alle zum Leuchten bringt: seine Aufgeschlossenheit gegenüber allem Neuen. 
Roger  Willemsen ist ein  wortreicher Mensch mit viel Poesie, der die ungezählten Augenblicke seines Lebens, keineswegs chronologisch aufgliedernd, in diesem Buch   in bunten Sätzen wiedergibt, ohne das Gesehene zu sezieren. Er ist kein Chirurg, sondern ein kunstsinniger Mensch, der die  Gegensätze der Welt durch seine Sprache harmonisch zusammenfügt und  uns lehrt, unbefangen  über die Vielfalt in  dieser Welt zu staunen. 
Manchen Dingen steht er skeptisch gegenüber, niemals  aber der Liebe, gleichwohl  jedoch dauerhaften Beziehungen, wie es scheint.  Für ihn gilt:“Glücklich wirken Paare  oft, wenn sie sich noch auf der Suche nach ihrer Zusammenhörigkeit befinden.“ (S.231). Eine gewisse Skepsis  hat er gegenüber Städten, die  nach seiner Ansicht auch aus Einsamkeit und Sehnsucht gebaut werden, (vgl.: S. 238). 
In seinen  Lebensbetrachtungen  „Momentum“  erwähnt der 57 jährige die Schlichtheit, die alte Menschen mitunter besitzen. Nicht selten würden sie in Sentenzen sprechen und ihre Erkenntnisse  in einfachen Geschichten sammeln, (vgl.: S.311).  Weshalb nicht in der Jugend des Alters mit dem Geschichtenerzählen beginnen und  seine Leser noch 40 oder 50 Jahre  damit erfreuen?  Wer die ganze Welt gesehen hat, benötigt ein halbes Leben, um all die Eindrücke zu Papier zu bringen.  Als Leserin  bin ich  sehr neugierig, was noch kommen wird. 
Empfehlenswert.
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